Tag & Nacht


Der erste Kaffee dampft noch, draußen hängt der Himmel grau über den Dächern, drinnen liegen Geschenkpapier und Schleifen wie Konfetti nach einer langen Nacht. Ein Blick aufs Handy. Nicht, um „Frohe Weihnachten“ zu schreiben, sondern um Fotos zu machen. Karton. Etikett. Inhalt. Klick. Noch ein Klick. Hochladen.

So begann in Frankreich für Hunderttausende Menschen der 25. Dezember.

Kaum sind die Geschenke ausgepackt, wechseln sie den Besitzer. Und zwar schneller als je zuvor. Fast 900.000 Anzeigen tauchten binnen weniger Stunden auf Online Plattformen auf. Eine Zahl, die selbst abgebrühte Marktexperten kurz schlucken ließ. Rekord. Und ein ziemlich deutlicher Fingerzeig.

Was steckt dahinter? Ein kalter Blick auf den Wert der Dinge? Pragmatismus? Oder schlicht die Lust, aus etwas Unpassendem wieder Bargeld zu machen? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Und genau darin liegt die eigentliche Geschichte.



Der digitale Marktplatz kennt keine Feiertage

Schon in den frühen Morgenstunden meldete eBay rund 500.000 neue Anzeigen. Im Vorjahr lag die Zahl deutlich darunter. Auch Rakuten France verzeichnete mit knapp 390.000 Inseraten einen kräftigen Zuwachs. Und das alles, während viele noch im Schlafanzug am Frühstückstisch saßen.

Man muss sich das mal vorstellen. Früher wanderte ein ungeliebtes Geschenk in den Schrank. Oder in den Keller. Oder wurde irgendwann heimlich weiterverschenkt. Heute landet es sofort online. Kein Zögern, kein schlechtes Gewissen. Ein paar Fotos, ein Preis, fertig.

Ist das respektlos gegenüber dem Schenkenden? Oder einfach nur ehrlich?

Die Plattformen selbst rechnen damit, dass die Millionengrenze in den Tagen nach Weihnachten fällt. Die Nachfrage ist da, die Technik steht bereit, und die Hemmschwelle ist längst gefallen.

Ein Verhalten, das zur Gewohnheit wurde

Was früher als Tabu galt, gehört inzwischen fast zum guten Ton. Laut aktuellen Erhebungen sollen rund 20 Millionen Französinnen und Franzosen mindestens einmal im Jahr ein Geschenk weiterverkaufen. Eine Zahl, die sich sehen lassen kann. Und die zeigt: Recommerce ist kein Nischenphänomen mehr.

Dabei geht es längst nicht nur ums Geld. Klar, ein paar Euro extra schaden niemandem. Doch viele sehen darin etwas anderes. Ordnung schaffen. Platz gewinnen. Dinge in Umlauf bringen, statt sie verstauben zu lassen.

„Warum etwas behalten, das ich nie benutze?“ Diese Frage hört man oft. Und sie klingt erstaunlich vernünftig.

Gleichzeitig schwingt ein neuer Umgang mit Konsum mit. Weniger Besitz, mehr Flexibilität. Heute gekauft, morgen verkauft. Die Dinge bleiben in Bewegung, fast wie Leihobjekte im großen Kreislauf der Wünsche.

Welche Geschenke besonders häufig weiterziehen

Ein Blick auf die beliebtesten Kategorien erzählt viel über unsere Zeit.

Ganz oben stehen kulturelle Produkte. Bücher, Videospiele, DVDs. Dinge, die man schnell konsumiert oder die schlicht nicht den Geschmack treffen. Danach folgt Hightech. Smartphones, Kopfhörer, Smartwatches. Hier lockt der hohe Wiederverkaufswert. Kaum genutzt, fast neu, begehrt.

Und dann wären da noch die Spielwaren. Vor allem bei Familien mit mehreren Kindern zeigt sich ein nüchterner Blick. Doppelte Geschenke? Weg damit. Altersunpassend? Ebenfalls.

Manchmal steckt hinter einer Anzeige auch eine kleine Familiengeschichte. Die Großtante schenkt das falsche Spiel. Der Onkel, der das neueste Gadget verschenkt, obwohl das alte noch tadellos funktioniert. Niemand meint es böse. Aber nicht alles passt.

Zwischen Haushaltskasse und Haltung

Im Durchschnitt holen Verkäufer rund 100 Euro aus ihren Weihnachtsgeschenken heraus. Manche deutlich mehr. Gerade bei Elektronik können schnell 300 Euro oder mehr zusammenkommen. Das ist kein Taschengeld.

Und ja, das Geld hilft. Die Lebenshaltungskosten steigen, die Mieten drücken, der Wocheneinkauf kostet spürbar mehr als noch vor ein paar Jahren. Da wirkt ein unerwarteter Geldzufluss wie ein kleiner Puffer.

Doch es wäre zu einfach, alles auf wirtschaftliche Zwänge zu schieben.

Denn parallel wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Für Kreisläufe. Für den Wert gebrauchter Dinge. Second Hand riecht längst nicht mehr nach Verzicht, sondern nach Vernunft. Oder sogar nach Stil.

Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack. Wenn so viele neue Produkte ungenutzt weiterverkauft werden, was sagt das über unser Schenkverhalten? Kaufen wir zu viel? Zu schnell? Zu gedankenlos?

Oder gehört genau das zur modernen Ökonomie – ausprobieren, bewerten, weiterreichen?

Die stille Revolution der Normalität

Interessant ist vor allem eines: Die Reaktion der Gesellschaft. Kaum Empörung. Kein moralischer Aufschrei. Stattdessen Schulterzucken. Ach ja, klar, machen doch alle.

Was früher peinlich wirkte, gilt heute als smart. Und wer geschickt verkauft, finanziert vielleicht gleich das nächste Wunschobjekt. Ein Geschenk wird zum Startkapital. Klingt fast schon unternehmerisch.

Plattformen reagieren darauf. Bessere Apps. Schnellere Uploads. Automatische Preisvorschläge. Alles zielt darauf ab, den Moment zwischen Auspacken und Inserieren möglichst kurz zu halten.

Und irgendwo sitzt jemand auf dem Sofa, scrollt durch die Angebote und denkt: Genau das habe ich gesucht.

Wohin führt diese Entwicklung?

Die Zeichen stehen klar auf Wachstum. Recommerce bleibt. Wahrscheinlich intensiviert er sich sogar. Neue Services entstehen, Tauschmodelle, Rückkaufprogramme, vielleicht spezielle Weihnachtsmodi für besonders schnelle Verkäufe.

Die entscheidende Frage lautet jedoch: Lernen wir daraus?

Schenken wir bewusster? Persönlicher? Oder akzeptieren wir, dass Geschenke heute Teil eines größeren Kreislaufs sind – mit offenem Ausgang?

Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Zwischen gut gemeint und gut genutzt. Zwischen Emotion und Effizienz.

Und mal ehrlich: Ist es nicht besser, ein ungenutztes Geschenk findet ein neues Zuhause, statt jahrelang Staub zu sammeln?

Ein Gedanke, der hängen bleibt.

Am Ende dieses ungewöhnlichen Weihnachtskapitels steht kein Skandal, sondern ein Spiegel. Einer, der zeigt, wie sich Werte verschieben. Leise, unspektakulär, aber nachhaltig. Und während der letzte Karton entsorgt wird, beginnt für manche Geschenke bereits das nächste Kapitel.

Ganz normal.
Fast schon gemütlich.

Ein Artikel von M. Legrand

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