Tag & Nacht


Ein Sonntagmorgen in Lyon. Der Kaffee dampft, die Zeitung raschelt, draußen zieht ein Wintermarkt langsam in den Tag. Und dann dieser Name. Schon wieder. Donald Trump. Auf Seite eins. In der Analyse. Im Kommentar. Später am Abend auch noch in der Talkshow. Man fragt sich fast automatisch: Gibt es eigentlich einen Nachrichtenmoment ohne ihn?

2025 lieferte die Antwort. Nein.

Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt stand nicht der französische Präsident an der Spitze der medialen Aufmerksamkeit, sondern ein Mann aus Washington. Donald Trump dominierte die französische Berichterstattung wie kein anderer. Nicht ein bisschen. Sondern mit Wucht.

Fast eine Million Mal tauchte sein Name in französischen Medien auf. Eine Zahl, die hängen bleibt wie Kaugummi unter dem Schuh.



Und plötzlich stellt sich eine unbequeme Frage: Was sagt das über Frankreich – und über uns als Nachrichtenkonsumenten?


Zahlen, die knallen

Die Messung stammt von Tagaday, einer Plattform für Medienbeobachtung, die seit Jahren Tausende Quellen auswertet. Zeitungen, Onlineportale, TV, Radio – alles wandert in den großen Datenkessel.

Das Ergebnis für 2025:
947.294 Erwähnungen für Donald Trump.
671.125 für Emmanuel Macron.

Ja, richtig gelesen. Emmanuel Macron landete auf Platz zwei. Für französische Verhältnisse fast schon ein kleiner Medienumsturz.

Seit 2013 stand der jeweilige Präsident der Republik zuverlässig ganz oben. Selbst Krisen, Wahlkämpfe, Gelbwesten, Pandemiejahre änderten daran nichts. Bis jetzt.

Man spürt förmlich, wie Redaktionen kurz innehalten mussten, als diese Zahlen auf dem Tisch lagen. Das gab es noch nie.


Ein Präsident, der Schlagzeilen liefert wie am Fließband

Warum ausgerechnet Trump?

Die kurze Antwort: weil er es versteht, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die längere ist spannender.

2025 markierte den Beginn seiner zweiten Amtszeit. Allein das sorgte für Dauerbetrieb in den Auslandsressorts. Doch Trump beließ es nicht bei Antrittsreden und höflichen Gipfelfotos. Er polterte, provozierte, überraschte – manchmal alles gleichzeitig.

Neue Zölle hier. Ein scharfer Tweet dort. Ein diplomatischer Affront, gefolgt von einem vermeintlichen Versöhnungsangebot. Redaktionen lieben solche Dramaturgien. Sie funktionieren wie Serienfolgen. Wer einmal einsteigt, bleibt dran.

Ein französischer Redakteur brachte es in einem Off Gespräch trocken auf den Punkt:
„Trump ist kein Politiker. Er ist ein Dauerereignis.“

Ganz ehrlich – wer würde da widersprechen?


Amerika, das uns näher rückt

Dabei geht es nicht nur um den Mann selbst. Es geht um die Folgen seiner Entscheidungen. Handelspolitik. Sicherheit. NATO. Ukraine. Nahost. Technologie.

Amerikanische Politik trifft Europa direkt. Und Frankreich ganz besonders. Wenn Trump Zölle erhöht, spüren es französische Winzer. Wenn er an der NATO rüttelt, geraten sicherheitspolitische Grundannahmen ins Wanken.

Das Ausland rückt näher an den Frühstückstisch.

Die Globalisierung der Nachrichten sorgt dafür, dass Washington nicht mehr weit weg wirkt. Im Gegenteil. Es fühlt sich manchmal an, als säße Trump mit am Küchentisch und kommentiere den Tag.

Ist das beunruhigend? Oder einfach Realität?


Medien im Sog der Provokation

Trump spricht in Soundbites. Kurze Sätze. Klare Feindbilder. Wenig Grautöne. Das passt perfekt in die Logik moderner Medien. Überschriften brauchen Reibung. Talkshows brauchen Kontroverse. Social Media braucht Emotion.

Und Trump liefert. Immer.

Ein Satz von ihm reicht, um Expertenrunden zu füllen. Ein Halbsatz erzeugt Gegendarstellungen, Fact Checks, Kommentare. Selbst seine Kritiker kommen an ihm nicht vorbei.

Ironisch eigentlich: Wer ihn kritisieren will, vergrößert seine Präsenz.

Ein bisschen wie bei diesem einen Verwandten auf Familienfeiern, über den alle die Augen verdrehen – und der trotzdem das Gesprächsthema Nummer eins bleibt.


Macron im Schatten des globalen Dauerfeuers

Heißt das, Emmanuel Macron verlor an Bedeutung? Nicht wirklich. Seine Medienpräsenz blieb hoch. Sehr hoch sogar.

Doch sie wirkte fast nüchtern im Vergleich zum amerikanischen Trommelfeuer. Nationale Reformen, Haushaltsfragen, europäische Gipfel – all das findet statt, aber ohne die emotionale Wucht, die Trump mitbringt.

Ein Beobachter formulierte es so:
„Macron erklärt. Trump inszeniert.“

Das eine wirkt rational. Das andere elektrisiert.

Und in Zeiten permanenter Reizüberflutung gewinnt oft das Lautere.


Ein Blick in die Redaktionen

Fragt man Journalistinnen und Journalisten, klingt oft leise Ermüdung durch. Trump verkauft sich gut, ja. Aber er frisst Ressourcen. Jeder Tweet muss geprüft, eingeordnet, kommentiert werden.

Trotzdem führt kein Weg an ihm vorbei.

„Wenn wir ihn ignorieren, sind wir irrelevant“, sagt ein Redaktionsleiter. „Wenn wir ihn bringen, verstärken wir den Effekt.“

Ein klassisches Dilemma.

Und genau hier liegt der Kern der Debatte: Steuern Medien die Aufmerksamkeit – oder folgen sie ihr nur?


Aufmerksamkeit ist nicht Zustimmung

Ein wichtiger Punkt geht in der Diskussion oft unter. Hohe Präsenz bedeutet keine Beliebtheit. In Frankreich bleibt Trump hochgradig umstritten. Viele Artikel erscheinen kritisch, warnend, distanziert.

Medien zählen Nennungen, keine Sympathiepunkte.

Doch selbst negative Berichterstattung verstärkt Sichtbarkeit. Das kennen wir aus der Popkultur, aus Skandalen, aus Social Media. Empörung verbreitet sich schneller als Zustimmung.

Oder anders gefragt: Was bleibt stärker im Kopf – ein nüchterner Gesetzesentwurf oder ein provokanter Satz?


Die Verschiebung des medialen Blicks

Dass ein ausländischer Präsident die französische Medienlandschaft dominiert, zeigt einen tiefgreifenden Wandel. Nationale Themen teilen sich den Raum zunehmend mit globalen Entwicklungen.

Kriege, Handelskonflikte, Klimapolitik – alles hängt zusammen. Die Redaktion in Paris denkt längst international.

Manche begrüßen das. Andere sorgen sich um die Balance. Bleiben soziale Fragen auf der Strecke? Verdrängt die große Weltpolitik den Alltag vor der Haustür?

Eine berechtigte Frage. Eine einfache Antwort gibt es nicht.


Gespräche am Küchentisch

Zurück nach Lyon. Am Sonntagstisch diskutieren zwei Generationen. Die Eltern erinnern sich an Zeiten, in denen französische Innenpolitik alles bestimmte. Die Kinder scrollen durch internationale Feeds.

Trump taucht in beiden Welten auf.

„Der ist überall“, sagt jemand.
„Leider“, sagt ein anderer.
„Oder zum Glück“, murmelt ein Dritter.

So entstehen Debatten. Und genau davon lebt Öffentlichkeit.


Ein Jahr, das bleibt

2025 markiert eine Zäsur. Nicht, weil Trump Frankreich regiert hätte. Sondern weil er zeigte, wie sehr nationale Medien Teil einer globalen Bühne sind.

Seine Präsenz fungiert als Seismograf. Sie zeigt, wo Spannungen liegen, welche Themen drängen, welche Ängste mitschwingen.

Ob das gut ist? Darüber lässt sich streiten. Dass es aufschlussreich ist, steht außer Frage.

Und vielleicht liegt darin der eigentliche Wert dieser Statistik. Sie hält uns einen Spiegel vor.

Was schauen wir an? Worüber sprechen wir? Und warum eigentlich immer wieder derselbe Name?


Ein Artikel von M. Legrand

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