Mitten in der globalen Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen griff Premierminister Benjamin Netanjahu im Herbst 2025 zu einem ungewöhnlichen historischen Bild: Israel müsse, so erklärte er, zu einem „Super-Sparta“ werden. In einer zunehmend feindseligen Welt solle sich das Land auf seine militärische Stärke und ökonomische Selbstgenügsamkeit besinnen. Wenige Sätze später bemühte er noch die Gegenthese: Man wolle zugleich „Athen und Super-Sparta“ sein – ein Spagat zwischen demokratischer Offenheit und martialischer Entschlossenheit.
Der Rückgriff auf das antike Griechenland war mehr als eine rhetorische Geste. Netanjahus Verweis auf die autarke, kriegerisch organisierte Stadt Sparta traf einen Nerv – nicht nur in Israel. Denn die Metapher lässt sich in vielerlei Hinsicht auf eine Welt übertragen, in der viele Gesellschaften ein offenes, globales Modell zunehmend infrage stellen.
Militarisierung und Autarkie als politische Vision
Die Reaktionen auf Netanjahus Anspielung fielen gespalten aus. Für seine Kritiker war die Berufung auf Sparta ein gefährlicher Rückfall in autoritäre Denkmuster: Sparta war bekannt für seine Abgeschlossenheit, die extreme Disziplin des Bürgertums und die systematische Unterdrückung einer grossen, entrechteten Bevölkerungsmehrheit. In der Erinnerungskultur ist das Bild idealisiert, doch in der historischen Realität war Sparta eine sklavenbasierte Kriegergesellschaft, in der individuelle Freiheit und wirtschaftliche Innovation kaum Platz fanden.
Gerade diese Aspekte lassen die Metapher für manche Beobachter als Warnung erscheinen. In einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen und zunehmender Nationalisierungspolitik klingt der Ruf nach einem „Super-Sparta“ wie die Parole einer Welt, die sich auf Konfrontation statt Kooperation einstellt. Isolation, Rüstungsanstrengungen und wirtschaftliche Selbstgenügsamkeit werden zur neuen Währung nationaler Sicherheit.
Der neue Reiz der Geschlossenheit
Dass ausgerechnet Sparta – nicht Athen – heute als Vorbild dient, verweist auf ein tieferliegendes Bedürfnis nach Kontrolle, Ordnung und Identität in einer als chaotisch empfundenen Welt. Die Gegenüberstellung von Athen und Sparta ist dabei nicht neu. Schon antike Historiker zeichneten das Bild zweier gegensätzlicher Pole: Athen, offen, kosmopolitisch, innovationsfreudig – Sparta, verschlossen, diszipliniert, wehrhaft.
Diese Dichotomie hat sich in politischen Diskursen über Jahrhunderte hinweg gehalten. In Zeiten des Aufbruchs wird Athen bemüht, in Zeiten der Unsicherheit Sparta. Der gegenwärtige Rückgriff auf den spartanischen Mythos spiegelt daher eine tektonische Verschiebung: Weg von der liberalen, global vernetzten Nachkriegsordnung – hin zu einem sicherheitsstaatlichen Denken, das auf Abschottung und militärische Stärke setzt.
Rechte Ikonografie und der „Spartan Spirit“
Die Faszination für Sparta ist dabei nicht nur rhetorisch. Rechte Bewegungen weltweit haben sich seit Jahren Elemente spartanischer Symbolik angeeignet: Vom Helm der Hopliten bis zur Parole „Molon Labe“ – „Komm und hol es dir“ – sind Versatzstücke spartanischer Geschichte in Subkulturen von Waffenlobbyisten, identitären Gruppen und Nationalisten präsent. Der Kult um die Schlacht von Thermopylai, in der 300 Spartaner einem übermächtigen Perserheer entgegenstanden, dient als Projektionsfläche für heroische Selbstinszenierung.
Dass diese Symbolik auf autoritäre Sehnsüchte verweist, liegt auf der Hand: Sparta verkörpert eine Welt klarer Grenzen, klarer Rollenverteilung und kompromissloser Verteidigungsbereitschaft. Dabei wird ausgeblendet, dass Sparta in seiner Geschichte keineswegs wirtschaftlich überlegen oder kulturell führend war – sondern eine Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Konformität beruhte.
Europas Wendung nach innen
Auch jenseits rechter Bewegungen finden sich heute zunehmend Elemente spartanischer Denkweise in der Realpolitik westlicher Demokratien. Die Rückkehr des Krieges nach Europa – mit dem russischen Angriff auf die Ukraine – hat das sicherheitspolitische Selbstverständnis vieler Länder grundlegend verändert. In Finnland wurde 2025 ein „Jahrzehnt des Militärs“ ausgerufen. Deutschland stellt seine Verteidigungspolitik neu auf und verabschiedet sich von der Illusion dauerhafter amerikanischer Schutzgarantien.
Diese Entwicklungen sind nicht notwendigerweise Ausdruck eines autoritären Reflexes. Doch sie markieren eine Abkehr von jenem offenen, auf Handel und internationale Verflechtung setzenden Modell, das über Jahrzehnte als Garant für Frieden und Wohlstand galt. Die Vorstellung, sich „nach innen zu wappnen“, ist anschlussfähig für politische Strömungen unterschiedlichster Couleur.
Sparta als verzerrter Spiegel
Historiker weisen seit Langem darauf hin, dass Sparta in der politischen Imagination häufig überzeichnet wird – und zwar je nach Zeitgeist in unterschiedlicher Richtung. Während die Nationalsozialisten in Sparta das Vorbild einer völkisch geordneten Gesellschaft sahen, stilisierte der Kalte Krieg den Gegensatz zwischen Athen und Sparta zum Modell für das Systemduell zwischen USA und Sowjetunion.
Heute lässt sich der spartanische Mythos als Chiffre für eine neue Weltdeutung lesen: Der Einzelne hat sich dem Kollektiv zu unterwerfen, wirtschaftliche Autonomie geht vor globaler Einbindung, Stärke wird nicht durch Offenheit, sondern durch Abschottung bewahrt. Diese Sichtweise passt in eine Welt, in der Vertrauen in multilaterale Institutionen erodiert, Migration als Bedrohung gedeutet wird und geopolitische Rivalitäten wieder in den Vordergrund treten.
Am Ende, so mahnen viele Antike-Experten, ist Sparta ein zweischneidiges Vorbild. Seine martialische Glorifizierung blendet aus, dass die Stadt weder dauerhaft stabil noch wirtschaftlich prosperierend war. Ihre Strenge war auch ihre Schwäche. Und das, was von ihr blieb, sind weniger Bauwerke als ein Mythos – wandelbar, anschlussfähig und letztlich gefährlich, wenn man ihn zur politischen Leitidee erhebt.
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Autor: P. Tiko
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