Ein winziger Wurm, kaum dicker als ein Haar, hat es geschafft, eine ganze Forstregion in Alarmbereitschaft zu versetzen. In der Gemeinde Seignosse, mitten im Herzen der berühmten Pinienwälder der französischen Landes, wurde erstmals in Frankreich der gefürchtete Kiefernnematode Bursaphelenchus xylophilus nachgewiesen. Für die größte zusammenhängende Waldfläche Westeuropas ist das eine schlechte Nachricht – und ein lauter Weckruf.
Denn dieser mikroskopisch kleine Eindringling hat das Potenzial, ganze Waldstriche innerhalb weniger Wochen in tote Holzgerippe zu verwandeln.
Der tödliche Gast aus Übersee
Ursprünglich stammt der Kiefernnematode aus Nordamerika. Über Umwege – vermutlich durch den internationalen Holzhandel – gelangte er zunächst nach Portugal, dann nach Spanien. Nun ist er in Frankreich angekommen. Und ausgerechnet im besonders anfälligen Küstenwald der Landes, einer Region, die fast ausschließlich mit Pinus pinaster, der Seekiefer, bepflanzt ist.
Ein ideales Buffet für einen Parasiten, der nicht nur still, sondern auch schnell zuschlägt: Indem er die Wasserleitungsbahnen des Baumes verstopft, bringt er ihn binnen weniger Wochen zum Vertrocknen – als hätte jemand die Adern abgeklemmt. Manche sprechen bereits von einem „Baumasphyxie-Virus“.
Die Wächter schlagen Alarm
Der Fund in Seignosse wurde nicht zufällig gemacht: Frankreich betreibt ein engmaschiges Netz phytosanitärer Überwachung, insbesondere in Risikogebieten. Bestätigt wurde der Befall durch das nationale Referenzlabor der ANSES und die zuständigen Dienste des Landwirtschaftsministeriums.
Und die Reaktion kam prompt: Ein 20-Kilometer-Radius rund um den Fundort wurde zur Sperrzone erklärt. Der Transport von Holz, Rinde und anderen pflanzlichen Materialien sensibler Baumarten ist dort ab sofort verboten. Auch sämtliche forstwirtschaftlichen Arbeiten – vom Fällen bis zum Schneiden – sind in diesem Gebiet ausgesetzt.
Und jetzt?
Die zentrale Frage lautet: Lässt sich das Biest noch stoppen?
Ein Befall durch den Kiefernnematoden bedeutet nicht nur ein Risiko für die betroffenen Bäume – sondern für das gesamte Ökosystem. Der Wald in den Landes ist das Rückgrat einer ganzen Region: ökologisch, wirtschaftlich und kulturell. Holzproduktion, Harzgewinnung, Biomasse, Jagd, Tourismus – alles hängt hier an den langen Nadeln der Seekiefern.
Und nun bringt ein winziger Fadenwurm dieses komplexe Gefüge ins Wanken.
Wer steckt hinter dem Angriff?
Ein Nematode allein ist nicht besonders mobil. Sein perfider Trick: Er benutzt einen Käfer als Taxi – genauer gesagt den Langhornkäfer Monochamus galloprovincialis. Dieser holzliebende Geselle bohrt sich durch die Rinde geschwächter Bäume und trägt den Parasiten von einem Wirt zum nächsten. Und das, ohne dass man es ihm ansieht.
Das macht die Eindämmung so schwierig.
Monokultur – ein offenes Scheunentor
Ein Blick auf die Forststruktur der Landes genügt, um zu verstehen, warum die Angst groß ist: Fast die gesamte Fläche ist mit einer einzigen Baumart bepflanzt – der Seekiefer. Diese Monokultur macht die Region nicht nur anfällig für Stürme und Brände, sondern auch für Parasitenbefall.
Diversität? Fehlanzeige. Was wirtschaftlich effizient erscheint, rächt sich nun bitter. Denn eine „Durchmischung“ der Wälder mit resistenteren Arten könnte das Risiko streuen. Aber dafür ist es nun fast zu spät.
Was jetzt zu tun ist
Die Behörden setzen auf drei zentrale Hebel:
- Sperrzonen – um eine Ausbreitung zu verhindern.
- Transparenz – mit intensiver Kommunikation in der Forstbranche.
- Langfristige Strategien – etwa die Förderung resistenter Baumarten oder neue Pflanzrichtlinien.
Doch ein einfacher Weg zurück zur Sicherheit existiert nicht. Die Region wird lernen müssen, mit dem Risiko zu leben – und den Umgang mit dieser neuen Realität in ihre Forstwirtschaft zu integrieren.
Ein Weckruf für Europa
Die Geschichte des Kiefernnematoden ist mehr als ein lokales Forstproblem. Sie zeigt exemplarisch, wie eng Globalisierung, Klimawandel und regionale Ökosysteme miteinander verflochten sind. Holz, das um den halben Globus reist. Temperaturen, die Parasiten den Weg ebnen. Monokulturen, die jede Abwehr unmöglich machen.
Was bleibt?
Die Hoffnung, dass dieser erste Fund zugleich auch der letzte bleibt. Dass die Wälder der Landes nicht zu schweigenden Friedhöfen aus Nadeln und Harz werden. Und dass wir aus diesem Signal lernen – bevor der nächste unsichtbare Feind bereits an der Rinde klopft.
Autor: Andreas M. Brucker
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