Das Erstaunlichste an der geopolitischen Neuordnung unserer Zeit ist nicht die Selbstbehauptung Chinas oder das strategische Erwachen Europas. Es ist der Umstand, dass ausgerechnet die Vereinigten Staaten – Architekten und Profiteure der bestehenden Weltordnung – nun mit Inbrunst daran arbeiten, ebenjenes System zu unterminieren. Was jahrzehntelang als Fundament amerikanischer Stärke galt – offene Märkte, regelbasierte Kooperation, strategische Allianzen – wird durch den nationalistischen Eifer des Trump-Lagers in Frage gestellt. Die Folgen reichen weit über kurzfristige Handelskonflikte hinaus. Sie markieren eine tektonische Verschiebung: den Übergang von einer amerikanisch geprägten Welt zu einer zentrifugalen, fragmentierten Ordnung.
Donald Trump, der sich seit jeher als Antithese zum multilateralen Konsens inszeniert, hat mit seiner jüngsten Eskalation der Zollpolitik eine neue Qualität erreicht. Die pauschale Einführung von Strafzöllen, gestützt auf Notstandsbefugnisse, lässt keine klare Strategie erkennen – wohl aber eine tief verwurzelte Skepsis gegenüber globaler Verflechtung. Der Präsident sieht in Handelsdefiziten ein Zeichen der Schwäche, in internationalen Abhängigkeiten eine nationale Gefahr. Es ist eine Sichtweise, die den ökonomischen Zusammenhang bewusst verzerrt: Denn die Stärke des US-Konsums, der Innovationsvorsprung amerikanischer Unternehmen und die Anziehungskraft der Universitäten – all das basiert auf Offenheit, nicht Abschottung.
Dennoch stellt sich Trump gegen diese Logik. Seine Regierung inszeniert den Bruch mit der Vergangenheit als patriotische Rückeroberung nationaler Souveränität. Das Narrativ ist simpel: Zölle bringen Arbeitsplätze zurück, das Ausland profitiert unrechtmässig von amerikanischer Nachgiebigkeit, und eine harte Hand werde Respekt erzwingen. Doch in der Realität verlieren die USA nicht nur Freunde, sondern auch Einfluss. Die europäischen Verbündeten denken über eigene Zahlungssysteme nach, Indien sendet seine Studenten zunehmend nach Deutschland oder Australien, und selbst Unternehmen wie Apple prüfen Verlagerungen – nicht in die USA, sondern an andere kostengünstige Standorte.
Der Preis dieser Politik ist hoch. Nicht nur wirtschaftlich, wo die Unsicherheit Investitionen bremst und Lieferketten gefährdet. Sondern auch geopolitisch: Die Glaubwürdigkeit amerikanischer Führungsansprüche sinkt, wenn Washington nicht mehr als verlässlicher Partner auftritt, sondern als erratischer Akteur, der Abkommen nach Gutdünken kündigt und seine wirtschaftliche Macht zum Druckmittel umfunktioniert. Dass dieser Kurs von traditionellen Verbündeten mit wachsendem Argwohn verfolgt wird, überrascht nicht. Singapurs Premierminister Lawrence Wong brachte es jüngst auf den Punkt: Die Vereinigten Staaten zerstörten das System, das sie selbst geschaffen haben – und riskierten damit die Fragmentierung der globalen Ökonomie.
Besonders deutlich zeigt sich das im Verhältnis zu China. Ein Handelskrieg mit Strafzöllen von über 100 Prozent auf chinesische Exporte steht bevor. Peking reagiert nicht mit Trotz, sondern mit strategischer Langfristigkeit. Die Führung erkennt, dass es nicht um temporäre Verhandlungen geht, sondern um den strukturellen Versuch einer Entkopplung. Und sie zieht ihre Konsequenzen. Die neue Weltordnung entsteht nicht am Verhandlungstisch – sie formt sich im Schatten amerikanischer Abwesenheit.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass jene post-amerikanische Welt, vor der liberale Kommentatoren einst warnten, nun nicht durch chinesische Ambitionen erzwungen wird, sondern durch amerikanischen Rückzug. Dabei ist diese Entwicklung nicht unvermeidlich. Die Vereinigten Staaten verfügen nach wie vor über unvergleichliche Ressourcen: militärische Stärke, technologische Innovationskraft, kulturelle Soft Power. Doch all diese Instrumente verlieren an Wirksamkeit, wenn sie nicht in eine glaubwürdige internationale Strategie eingebettet sind.
Auch innenpolitisch ist Trumps Strategie nicht ohne Risiko. Die vielbeschworene Renaissance der Industriearbeitsplätze bleibt bislang aus. Stattdessen droht eine wirtschaftliche Polarisierung, wie sie zuletzt in den Jahren der industriellen Umstrukturierung zu beobachten war. Die Soziologin Jessica Calarco weist zu Recht darauf hin, dass Trumps Vision eines „guten amerikanischen Lebens“ aus den 1950er-Jahren auf Bedingungen basierte, die heute nicht mehr existieren: starke Gewerkschaften, hohe Steuersätze, ein robustes soziales Netz. Ohne deren Wiederbelebung bleibt der protektionistische Aufbruch eine leere Hülle – mit der Gefahr, soziale Ungleichheit weiter zu verschärfen.
Der wirtschaftshistorische Blick mahnt zur Nüchternheit. Der britische Historiker Niall Ferguson sieht im amerikanischen Isolationismus ein Zeichen des Rückzugs, nicht der Erneuerung. „Amerika wird die Globalisierung und seine Rolle als Weltpolizist noch vermissen“, schreibt er – und erinnert daran, dass es keinen Weg zurück in eine mythisch verklärte Vergangenheit gibt.
Der Westen, und mit ihm die liberale Weltordnung, steht damit an einem Scheideweg. Ohne amerikanische Führung, oder zumindest amerikanische Beteiligung, droht ein Systemverfall in Sphärenkonkurrenz und transaktionale Politik. Die Hoffnung liegt auf jenen Akteuren, die noch an Regeln, Institutionen und strategische Partnerschaften glauben – in Brüssel, Singapur, Berlin oder Tokio. Doch ob ihre Bemühungen ausreichen, ein Vakuum zu füllen, das Washington selbst geschaffen hat, bleibt offen. Sicher ist nur: Die Welt nach Trump wird eine andere sein.
Von Andreas Brucker
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