Frankreich erlebt derzeit eine beispiellose Welle der Gewalt gegen seine Justizvollzugsanstalten. Seit der Nacht vom 14. auf den 15. April wurden zahlreiche Gefängnisse im ganzen Land zum Ziel koordinierter Angriffe – mit Brandstiftungen, Schusswaffeneinsätzen und systematischen Einschüchterungsversuchen. Die Alarmbereitschaft in Justiz und Politik ist hoch, die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft Parquet national antiterroriste (PNAT) hat die Ermittlungen übernommen.
Eine Nacht, viele Brandherde
Agen, Toulon, Villepinte, Nanterre, Aix-en-Provence, Marseille, Valence – das sind keine Einzelfälle, sondern Stationen einer regelrechten Angriffswelle. In Agen, an der Schule für Gefängnispersonal, brannten sieben Fahrzeuge. In Toulon feuerten Unbekannte mit schweren Waffen auf das Haupttor. In mehreren Städten wurden Autos von Justizbeamten gezielt angezündet – oft unter Einsatz von Brandbeschleunigern wie Benzin oder anderen brennbaren Flüssigkeiten. In Marseille tauchten dazu noch politische Tags auf, darunter „DDPF – Droits des Prisonniers Français“ (Rechte der französischen Gefangenen).
Ein mutmaßlicher maskierter Täter auf einem E-Scooter wurde in Valence gesichtet, wie er Fahrzeuge von Justizbediensteten in Brand setzte – fast filmreif, wenn es nicht so ernst wäre.
Koordiniert und gezielt – aber warum?
Der Verdacht liegt nahe: Hier handelt es sich nicht um spontane Einzeltaten, sondern um eine strukturierte Aktion. Der französische Innenminister Bruno Retailleau sprach von „unverzeihlichen Angriffen“, Justizminister Gérald Darmanin sieht einen direkten Zusammenhang mit der repressiven Anti-Drogen-Politik der Regierung.
Frankreich baut derzeit Hochsicherheitszellen für die gefährlichsten Drogenbosse des Landes – in Vendin-le-Vieil und Condé-sur-Sarthe. Genau das könnte ein Auslöser sein. Die Justiz setzt Zeichen gegen den organisierten Drogenhandel – doch dieser schlägt zurück, mit Mitteln, die an mafiöse Strukturen erinnern.
Die Justiz unter Druck
Der nationale Antiterrorstaatsanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Die Spurensuche läuft über die Unterabteilung für Terrorismusbekämpfung der Kriminalpolizei, unterstützt von der DGSI, Frankreichs Inlandsgeheimdienst. Ob die Angriffe tatsächlich als terroristische Akte eingestuft werden, ist noch offen – die rechtliche Bewertung folgt.
Für die Justizbediensteten selbst ist das eine Situation am Rande der Belastbarkeit. Bereits im März wurden Fahrzeuge vor dem Gefängnis Gradignan angezündet. Und der brutale Angriff auf einen Gefangenentransport im vergangenen Jahr, bei dem mehrere Beamte starben, ist ebenfalls noch in frischer Erinnerung.
Jetzt also Angriffe auf Parkplätze, Gefängnistore, Sozialwohnungen von Justizangestellten. Das Gefühl ist klar: Auch außerhalb der Gefängnismauern ist man nicht sicher.
Forderungen nach Schutz und Antworten
Die Gewerkschaften schlagen Alarm. Force Ouvrière nennt die Angriffe eine „frontale Attacke auf unsere Institution“. Die Ufap-Unsa fordert unverzüglich koordinierte Maßnahmen – nicht nur symbolische Gesten, sondern echte Sicherheit. Und das bedeutet auch: mehr Personal, bessere Ausrüstung, intelligenteres Schutzkonzept.
„Die Kollegen sind frustriert und besorgt. Ihre privaten Fahrzeuge brennen – das ist ein direkter Angriff auf ihr Leben“, sagte ein regionaler Gewerkschaftsvertreter.
Was kommt jetzt?
Noch ist nicht klar, wer genau hinter den Angriffen steckt. Aber es steht außer Frage, dass die Botschaft der Täter deutlich ist: Einschüchterung, Revanche, Chaos. Der Staat wiederum muss nun beweisen, dass er auf solche Provokationen geschlossen und entschlossen reagieren kann.
Und die Frage, die in Justizkreisen derzeit laut wird, lässt sich nicht ignorieren: Wenn der Staat auf Dauer die Kontrolle an den Gefängnismauern verliert – was bedeutet das für die Sicherheit im Rest des Landes?
M.A.B.
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