Tag & Nacht




Ein Dienstagmorgen, wie man ihn niemandem wünscht – mitten in Paris, im belebten 11. Arrondissement, wird ein junges Paar mit Kind zum Ziel eines brutalen Entführungsversuchs. Drei maskierte Männer, bewaffnet mit Messern, stürzen sich auf eine 34-jährige Frau und ihr Kleinkind. Ihr Ziel: Die beiden in einen als Chronopost-Lieferwagen getarnten Wagen zu zerren.

Doch der Plan der Täter geht nicht auf – dank des mutigen Eingreifens des Lebenspartners. Trotz schwerer Verletzungen gelingt es ihm, die Angreifer abzuwehren. Ein zufällig vorbeikommender Passant mischt sich ein, greift kurzerhand zu einem Feuerlöscher – und schlägt die Entführer in die Flucht.

Der weiße Lieferwagen wird wenig später verlassen entdeckt, darin: eine täuschend echte Schusswaffen-Replik. Die Polizei nimmt die Spur auf – und ein weiteres Puzzlestück im düsteren Gesamtbild rund um Krypto-Kriminalität in Frankreich kommt ans Licht.

Wenn Reichtum zur Gefahr wird

Die Frau, so stellte sich später heraus, ist die Tochter des CEO der Kryptowährungs-Plattform Paymium. Nicht das erste Mal, dass Angehörige von Krypto-Unternehmern zur Zielscheibe werden.

Gerade einmal zwei Wochen zuvor war im 14. Arrondissement der Vater eines anderen Krypto-Unternehmers entführt worden. Die Täter forderten 5 bis 7 Millionen Euro – zahlbar in Kryptowährungen – und schnitten ihrem Opfer zur Einschüchterung und beweis ihrer Ernsthaftigkeit einen Finger ab. Erst durch eine riskante Polizeiaktion in Palaiseau kam es zur Befreiung.

Im Januar: ein weiteres prominentes Opfer. David Balland, Mitgründer der Sicherheitsfirma Ledger, wurde gemeinsam mit seiner Partnerin verschleppt. Die Täter verlangten 10 Millionen Euro Lösegeld – auch hier wurde ein Finger abgetrennt. Die Polizei befreite das Paar, sieben Personen wurden festgenommen.

Was steckt dahinter?

Von Krypto-Boom zur kriminellen Goldgrube

Die neue digitale Elite in Frankreich ist ins Visier der organisierten Kriminalität geraten. Warum? Weil viele Krypto-Unternehmer plötzlich reich sind – aber kaum Personenschutz haben. Ihre Vermögen sind oft mobil, schwer nachverfolgbar und lassen sich in Sekundenbruchteilen von einem Ende der Welt zum anderen schicken. Für Verbrecher ein Traum.

Ermittler sehen dabei Parallelen zu Lateinamerika. Entführungen, Drohungen gegen Familienangehörige, Verstümmelungen, Lösegeldforderungen in Bitcoin – die Methoden wirken wie importiert.

Ledger-Mitgründer Éric Larchevêque sprach im Netz sogar von einer „Mexikanisierung“ Frankreichs – ein harter Vorwurf, aber einer, der zeigt, wie sehr die Angst unter den Krypto-Pionieren gewachsen ist.

Polizei und Politik im Alarmmodus

Die französischen Behörden nehmen die Bedrohung ernst. Die Brigade de répression du banditisme (BRB) ermittelt in allen Fällen mit Hochdruck. Innenminister Bruno Retailleau lobt die Einsatzkräfte – doch gleichzeitig steigt der Druck auf Politik und Justiz, die Täter schnell und hart zu bestrafen.

Denn das Vertrauen in den Staat beginnt zu bröckeln. Immer mehr Akteure aus der Krypto-Szene denken offen über einen Umzug nach: In die Schweiz, nach Dubai oder andere Länder, die als sicherer gelten.

Krypto-Kapital in Bewegung

Die Bedrohung hat eine neue Dimension erreicht – nicht nur auf menschlicher Ebene, sondern auch wirtschaftlich. Wenn die klügsten Köpfe und innovativsten Firmen das Land verlassen, droht Frankreich, seine Vorreiterrolle in der Blockchain-Welt zu verlieren.

Die Szene rüstet sich. Private Sicherheitsdienste boomen, Safe-Houses werden eingerichtet, Alarmknöpfe installiert. Auch Schulungen zur digitalen und physischen Selbstverteidigung werden angeboten.

Aber reicht das?

Der digitale Goldrausch braucht neue Regeln

Die Angriffe sind ein Weckruf – für Politik, Polizei und Unternehmer. Die Spielregeln müssen sich ändern. Wer viel Geld im Netz bewegt, muss künftig besser geschützt werden. Und auch der Staat muss mit neuen Bedrohungen umgehen lernen – Cybersecurity reicht längst nicht mehr.

Denn wenn sich die Bedrohungslage weiter zuspitzt, könnte Paris seinen Ruf als Hotspot für Tech-Innovationen schneller verlieren, als man „Bitcoin“ sagen kann.

Von Andreas M. Brucker

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