Tag & Nacht


Wenn der Wind vom Atlantik her über die Dünen fegt, wenn das Meer grollt und das Licht der Bretagne sich silbern auf die Wellen legt, dann wirkt die kleine Insel Batz wie ein vergessenes Paradies. Im Sommer summt sie vor Leben – 6.000 Urlauber drängen sich zwischen Hafen, Strand und auf den Radwegen. Doch sobald die Fähre im Herbst seltener fährt, bleiben kaum 460 Bewohner zurück. Was dann bleibt, ist eine gespenstische Stille, durchbrochen nur vom Schrei der Möwen und dem Knarren von Fensterläden, die niemand mehr öffnet.


Insel im Ausnahmezustand

Zwei Drittel aller Häuser auf Batz gehören Menschen, die nur ein paar Wochen im Jahr hier sind. Das klingt harmlos – doch es ist der Kern eines Dramas, das viele bretonische Gemeinden betrifft: Der Alltag bricht zusammen, wenn das Leben sich nur noch im Juli und August abspielt. Wer hier arbeitet, findet kaum ein Dach über dem Kopf. Wer bleiben möchte, sieht sich gezwungen zu gehen.

Der junge Koch Léo Jouvet aus dem Loiret hat es trotzdem gewagt. Zusammen mit seiner Frau Stacy und den vier Kindern lebt er seit September auf der Insel. „Wir wollten ans Meer, in die Bretagne. Es fühlt sich an wie Ferien – nur dass man hier wirklich lebt“, sagt er lachend. Die Familie hat Glück: Sie kann ein Haus der Gemeinde mieten, 100 Quadratmeter für 770 Euro im Monat. Auf dem Festland mag das keine Sensation sein, auf Batz ist es fast ein kleines Wunder.


Wenn Kinderstimmen einen Ort retten

Drei der Jouvet-Kinder gehen auf die kleine Schule der Insel – und sichern damit, ganz nebenbei, deren Zukunft. Eine der beiden Klassen stand kurz vor der Schließung. Jetzt erklingt dort wieder Kinderlärm. „Es kommen sogar Kinder vom Festland herüber, weil die Eltern das Schulsystem und die Umgebung hier mögen“, erzählt eine Lehrerin.

Eine Insel ohne Schule, das wäre wie ein Leuchtturm ohne Licht. Denn wo Kinder fehlen, zieht auch kein Arzt, kein Bäcker, kein Handwerker mehr hin. Das weiß Bürgermeister Éric Grall nur zu gut. „Wenn die Familien gehen, sterben die Geschäfte, die Vereine, die Seele des Ortes“, sagt er. Also hat er eine Entscheidung getroffen, die in der Region für Aufsehen sorgt.


Der mutige Schritt: 60 % mehr Steuer für Zweitwohnungen

Seit Jahresbeginn gilt auf Batz eine kräftige Erhöhung der Steuer für Zweitwohnungen – plus 60 %. Was nach fiskalischem Druckmittel klingt, ist in Wahrheit eine Überlebensstrategie. Denn die zusätzlichen Einnahmen fließen direkt in bezahlbaren Wohnraum.

Hinter der Gemeindehallte wachsen gerade acht Holzhäuser aus dem Boden – schlicht, nachhaltig gebaut, bodenständig. Finanziert werden sie zu einem großen Teil durch die neue Steuer. Rund 95.000 Euro pro Jahr spült sie in die Gemeindekasse, insgesamt entsteht ein Projekt von 2,6 Millionen Euro.

„Es geht nicht darum, jemanden zu bestrafen“, betont der Bürgermeister. „Die Zweitwohnungsbesitzer profitieren ja auch davon, dass hier ein Laden offen ist, ein Café lebt, Kinder spielen. Ihre Beteiligung an den Kosten der Gemeinschaft ist einfach nur gerecht.“


Stimmen aus dem Dorf

Im einzigen Bar-Tabac des Ortes, wo morgens der Kaffeeduft den Nebel vertreibt, wird kaum jemand widersprechen. Ein älterer Fischer mit wettergegerbtem Gesicht nippt an seinem Glas und meint: „Wenn mehr Familien kommen, gibt’s wieder Arbeit. Ganz einfach.“
Neben ihm nickt eine Frau, die gerade Brot verkauft hat: „Ohne Schule, ohne junge Leute – dann kann man gleich das Licht ausmachen.“

Der Ton ist herzlich, aber ernst. Man spürt: Auf dieser Insel hat jeder schon einmal darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn das eigene Zuhause sich langsam entvölkert.


Eine Insel plant ihre Zukunft

Batz will nicht nur überleben – sie will wieder wachsen. Acht neue Familien sollen bis kommenden Sommer einziehen. Die Gemeinde richtet außerdem eine Kindertagesstätte ein und setzt auf digitale Infrastruktur: 2026 soll die Glasfaser kommen. Für viele, die im Homeoffice arbeiten, könnte das der entscheidende Anreiz sein, dauerhaft zu bleiben.

„Man spürt richtig, dass hier was entsteht“, sagt Stacy Jouvet, die mittlerweile beim Inselverein mithilft. „Am Anfang dachten wir, wir bleiben vielleicht zwei Jahre. Jetzt wollen wir gar nicht mehr weg.“


Zwischen Himmel, Meer und Hoffnung

Wer Batz im Winter besucht, versteht, was auf dem Spiel steht. Die Insel ist schön – wild, einsam, echt. Aber ohne Menschen verliert selbst der schönste Ort seine Seele. Deshalb ist die Steuererhöhung nicht nur ein Haushaltsinstrument, sondern ein Symbol. Sie zeigt: Diese kleine Gemeinschaft glaubt an ihre Zukunft, und sie kämpft dafür.

Ist es ein Modell für andere Gemeinden in der Bretagne? Vielleicht. Sicher aber ist: Batz sendet ein Signal. Dass das Leben auf den Inseln nicht nur den Reichen gehören darf. Dass Dörfer, so klein sie auch sind, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können.

Und dass eine Handvoll Kinderstimmen manchmal mehr bewegen als tausend politische Reden.

Ein Artikel von M. Legrand

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