Es gibt diese seltenen Momente, in denen der Alltag kurz innehält. Man fährt an die Tankstelle, greift routiniert zur Zapfpistole, blickt auf die Anzeige – und blinzelt. Noch mal hinschauen. Stimmt das wirklich? Ja. Benzin und Diesel kosten gerade so wenig wie seit drei Jahren nicht mehr. Sieben Cent weniger innerhalb einer Woche. Für viele fühlt sich das an wie ein kleiner Sieg gegen die Dauerteuerung, gegen all die Rechnungen, die sonst stetig wachsen.
Ein Moment zum Durchatmen.
Aber nur kurz.
Denn während sich an der Zapfsäule ein Hauch von Erleichterung breitmacht, laufen im Hintergrund Mechanismen, die diesen Preisrückgang bald wieder zunichtemachen. Und das ziemlich zuverlässig. Wer denkt, der günstige Sprit markiere eine neue Normalität, täuscht sich. Diese Phase gleicht eher einem ruhigen Sonntagmorgen, bevor der Wecker montags gnadenlos klingelt.
Warum also sind die Preise gerade so niedrig?
Und weshalb droht schon Anfang 2026 der nächste spürbare Anstieg?
Ein Preis wie aus der Erinnerungskiste
Viele Autofahrerinnen und Autofahrer haben sich fast daran gewöhnt, dass Tanken wehtut. Umso überraschender fühlt sich die aktuelle Lage an. Super 95 und 98 liegen wieder auf dem Niveau von vor drei Jahren. Beim Diesel fällt der Rückgang noch stärker aus. Innerhalb eines Monats ging es um 16 Cent nach unten. Das merkt man sofort – besonders bei vollen Tanks.
Pendler rechnen, Lieferdienste atmen auf, Handwerksbetriebe lächeln kurz. Es sind diese kleinen Erleichterungen, die im Alltag zählen. Und doch schwingt bei vielen ein leises Misstrauen mit. Zu oft folgte auf eine Phase niedriger Preise ein umso härterer Anstieg.
Dieses Misstrauen kommt nicht von ungefähr.
Der Ölpreis – nervös wie ein Seismograf
Der Hauptgrund für den aktuellen Preisrutsch liegt weit entfernt von französischen Zapfsäulen. Der globale Ölmarkt reagiert empfindlich auf geopolitische Signale. Hoffnung auf eine Entspannung im Krieg in der Ukraine, eine schwächelnde Weltkonjunktur, weniger industrielle Nachfrage – all das drückt die Preise.
Der Referenzpreis für Rohöl, das sogenannte Brent, pendelt derzeit um die 60 Dollar pro Barrel. Vor zwei Jahren lag dieser Wert noch nahe der 100 Dollar Marke. Ein Unterschied, der sich direkt im Portemonnaie bemerkbar macht.
Besonders deutlich zeigt sich der Effekt durch den wirtschaftlichen Abschwung in China. Weniger Wachstum, weniger Produktion, weniger Energiebedarf. Der Markt reagiert prompt. Angebot trifft auf sinkende Nachfrage – der Preis fällt.
Das klingt logisch. Fast beruhigend.
Doch dieser Zustand bleibt fragil.
Hoffnung auf russisches Öl – mit Fragezeichen
Ein weiterer Faktor schwebt wie ein unausgesprochener Gedanke über den Märkten: die mögliche Rückkehr russischen Öls. Sollten die Spannungen rund um den Ukrainekrieg nachlassen und Sanktionen gelockert werden, käme zusätzliches Angebot auf den Markt. Mehr Öl bedeutet niedrigere Preise – zumindest kurzfristig.
Aber Ölpolitik kennt keine Garantien.
Parallel dazu schwelen neue Konflikte. Spannungen zwischen den USA und Venezuela, einem ebenfalls bedeutenden Förderland, sorgen regelmäßig für Nervosität. Ein diplomatischer Eklat, eine neue Sanktion, ein politischer Alleingang – und schon dreht der Markt nach oben.
Der Ölpreis reagiert schneller als jede politische Pressekonferenz.
Die eigentliche Preisschraube sitzt im Inland
So sehr der Blick auf den Weltmarkt fasziniert, die eigentliche Preiserhöhung kommt aus einer ganz anderen Richtung. Leise, technisch, fast unsichtbar. Und doch mit großer Wirkung.
Die sogenannten Zertifikate für Energieeinsparungen, in Frankreich als CEE bekannt, spielen dabei die Hauptrolle. Dieses System verpflichtet Energieanbieter dazu, Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs zu finanzieren. Dazu zählen Gebäudesanierungen, effizientere Heizsysteme oder Förderprogramme für umweltfreundlichere Fahrzeuge.
Eine gute Sache, auf dem Papier.
Doch diese Maßnahmen kosten Geld. Und dieses Geld fließt über den Preis an der Zapfsäule direkt zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern zurück. Aktuell machen die CEE etwa elf Cent pro Liter Kraftstoff aus. Ab dem 1. Januar 2026 steigt dieser Anteil deutlich.
Vier bis sechs Cent mehr pro Liter – ganz unabhängig vom Ölpreis.
Man zahlt also beim Tanken indirekt für den ökologischen Umbau anderer Haushalte. Für das Elektroauto der Nachbarin. Für die Wärmepumpe im Neubau ein paar Straßen weiter. Solidarisch gedacht, politisch gewollt, gesellschaftlich umstritten.
Ist das gerecht?
Oder einfach nur frustrierend?
Ein politisches Minenfeld
Frankreich reagiert auf steigende Spritpreise allergisch. Das hat Geschichte. Der Protest der Gilets jaunes begann genau hier – bei einer Erhöhung der Kraftstoffabgaben. Was folgte, waren Monate der Unruhe, Blockaden, Demonstrationen und ein tiefes Misstrauen gegenüber der Politik.
Diese Erfahrung prägt bis heute jede Entscheidung rund um Energiepreise.
Der aktuelle Verkehrsminister Philippe Tabarot betont regelmäßig, wie wachsam man bleibe. Niemand wolle eine neue Eskalation riskieren. Niemand wolle die Zapfsäule erneut zum Symbol sozialen Zorns machen.
Doch politische Vorsicht ändert nichts an gesetzlichen Vorgaben. Die Erhöhung der CEE ist beschlossen. Sie kommt. Punkt.
Was bleibt, ist das Hoffen auf günstige Weltmarktpreise als Gegengewicht.
Alltag zwischen Hoffnung und Skepsis
Im echten Leben reduziert sich diese komplexe Gemengelage auf einfache Rechnungen. Marie, Krankenschwester aus der Normandie, fährt täglich 40 Kilometer zur Arbeit. „Im Moment spare ich fast 30 Euro im Monat“, sagt sie. „Aber ich traue dem Frieden nicht. Das war schon öfter so.“
Jean Pierre, selbstständiger Handwerker nahe Lyon, zuckt mit den Schultern. „Der Sprit ist gerade billig, ja. Aber das bleibt nie. Die holen sich das Geld immer zurück.“
Diese Stimmen klingen nüchtern, fast abgeklärt. Und genau darin liegt ihre Glaubwürdigkeit. Kaum jemand glaubt noch an dauerhafte Entlastung. Zu oft folgte auf eine günstige Phase ein Preisschock.
Der ökologische Spagat
Natürlich ließe sich argumentieren, dass höhere Preise einen Lenkungseffekt haben. Wer mehr zahlt, überlegt genauer. Weniger fahren, effizientere Fahrzeuge, vielleicht irgendwann der Umstieg auf Alternativen. Aus ökologischer Sicht ergibt das Sinn.
Doch die Realität sieht komplizierter aus.
Nicht jeder lebt in einer Stadt mit gutem Nahverkehr. Nicht jeder besitzt das Geld für ein neues Auto. Für viele bleibt das Auto kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Arbeit, Kinder, Pflege von Angehörigen – Mobilität hängt oft am eigenen Fahrzeug.
Hier prallen Klimaziele und soziale Realität frontal aufeinander.
Und mittendrin steht der Literpreis.
Ein fragiles Gleichgewicht
Aktuell profitieren Autofahrer von einer seltenen Kombination: niedriger Ölpreis, schwache Nachfrage, politische Zurückhaltung. Doch dieses Gleichgewicht wirkt instabil. Ein geopolitischer Zwischenfall, ein wirtschaftlicher Aufschwung, neue Sanktionen – und die Karten liegen neu auf dem Tisch.
Die kommende Erhöhung der CEE wirkt dabei wie ein sicherer Anker nach oben. Selbst wenn der Ölpreis stabil bleibt, steigen die Kosten an der Zapfsäule.
Die Frage lautet also nicht, ob die Preise steigen.
Sondern wann und wie stark.
Ein kurzer Moment der Ruhe
Vielleicht liegt gerade darin die eigentliche Lehre dieser Phase. Günstiger Sprit fühlt sich gut an, keine Frage. Er entlastet, schenkt ein wenig Luft im Alltag. Doch er bleibt ein temporärer Zustand.
Ein bisschen wie Sonnenschein im Dezember.
Man genießt ihn, solange er da ist. Und man weiß gleichzeitig, dass der Winter noch nicht vorbei ist.
Ein Artikel von M. Legrand
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