Am Samstagmorgen, 21. September, erlebte Marseille eine spektakuläre Aktion auf See: Eine Gruppe von Umweltaktivisten des Kollektivs „Stop Croisières“ und „Extinction Rebellion“ blockierte für fast zwei Stunden die Ankunft mehrerer Kreuzfahrtschiffe – darunter die riesige MSC World Europa, sechstgrößtes Kreuzfahrtschiff der Welt. Ihr Ziel: auf die massive Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen, die von diesen schwimmenden Städten ausgeht.
Wachsender Widerstand in Marseille
Der Unmut gegen die Kreuzfahrtindustrie in Marseille wird immer lauter. Drei Kreuzfahrtschiffe und zwei Fähren wurden durch die Aktion der Aktivisten gestoppt. Die Gruppe positionierte sich mit ihren Kanus direkt am Eingang des Hafens – einem der größten Häfen Frankreichs. Es war eine gut koordinierte Aktion, die den Verkehr am Hafen lahmlegte und bei den Reedereien für Aufregung sorgte. Erst nach rund zwei Stunden griff die maritime Gendarmerie ein und räumte den Zugang.
Es war kein kleiner Vorfall. Der „Aidastella“, ein deutsches Kreuzfahrtschiff mit einer Kapazität von 2.000 Passagieren, musste umkehren und konnte erst nach der Blockade wieder Kurs auf den Hafen nehmen. Ähnliche Verzögerungen erlitten auch zwei weitere große Schiffe: der MSC World Europa und die Costa Smeralda, die aufgrund der Aktion eine Weile auf offener See ausharren mussten.
Die Botschaft der Aktivisten
Die Protestierenden, bewaffnet mit Transparenten und entschlossenem Willen, machten ihre Botschaft laut und deutlich klar: „Es stinkt nach Diesel“ und „Wir sind wütend auf MSC Cruises“ war auf den Bannern zu lesen. Sie prangerten die Luftverschmutzung an, die durch diese Kreuzfahrtriesen verursacht wird – und das mit möglicherweise fatalen Folgen für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und die Meeresökosysteme. „Diese Schiffe sind nichts anderes als schwimmende Städte, und ihre Emissionen belasten massiv die Umwelt“, so ein Sprecher des Kollektivs.
Doch das ist nicht alles. Neben der Umweltbelastung wurden auch die Arbeitsbedingungen an Bord kritisiert. Die Aktivisten fordern mehr Transparenz und bessere Bedingungen für die Crewmitglieder, die oft unter sehr harten Bedingungen auf diesen Luxuslinern arbeiten.
Kreuzfahrtindustrie: Ein zweischneidiges Schwert
Während Städte wie Marseille wirtschaftlich von der Kreuzfahrtindustrie profitieren, wird zunehmend die Kehrseite dieser Branche deutlich. In Europa regt sich immer mehr Widerstand. Städte wie Venedig und Amsterdam haben es vorgemacht: Sie haben ihre Innenstadt-Häfen für Kreuzfahrtschiffe gesperrt, um die negativen Folgen zu minimieren.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Eine Studie der NGO Transport & Environment zeigt, dass Kreuzfahrtschiffe, die 2022 in europäischen Gewässern unterwegs waren, mehr als acht Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen haben – das entspricht rund 50.000 Flügen von Paris nach New York. Eine Bilanz, die viele schockiert und die Frage aufwirft: Kann dieser Luxus wirklich im Einklang mit unseren Klimazielen stehen?
Steigende Luftverschmutzung: Ein Problem für Marseille
Marseille ist besonders von der Luftverschmutzung durch den Schiffsverkehr betroffen. Laut AtmoSud, einer regionalen Organisation zur Überwachung der Luftqualität, sind die maritimen Aktivitäten für 39 % der Stickoxid-Emissionen (NOx) in der Region verantwortlich – nur knapp hinter dem Straßenverkehr, der 45 % ausmacht. Diese Stickoxide sind ein erheblicher Faktor für die schlechte Luftqualität in der Stadt und tragen zu gesundheitlichen Problemen bei den Anwohnern bei.
Im März 2023 reichte eine Gruppe von Anwohnern und Umweltorganisationen sogar eine Klage gegen unbekannt ein, um auf die ständige Überschreitung der gesetzlich erlaubten Luftverschmutzungsgrenzen hinzuweisen. Die Belastung durch den Schiffsverkehr wird immer wieder als eine der Hauptursachen genannt.
Die Reaktion der Kreuzfahrtindustrie
Die Kreuzfahrtbranche verteidigt sich jedoch vehement. In einer Stellungnahme der internationalen Kreuzfahrtvereinigung Clia wurde die Blockade als „illegal und gefährlich“ bezeichnet. Man betonte zudem, dass die Schifffahrtsindustrie, darunter auch die Kreuzfahrtschiffe, intensiv daran arbeite, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren und langfristig eine CO2-Neutralität anzustreben. In Marseille machen Kreuzfahrtschiffe derzeit nur 5 % des gesamten Schiffsverkehrs aus – ein Faktum, das laut Clia verdeutlicht, dass die Kreuzfahrt-Industrie nur einen kleinen Teil des Problems darstellt.
Kampf um die Zukunft des Hafens
Der Hafen von Marseille hat in den letzten Jahren einen enormen Anstieg des Kreuzfahrtverkehrs verzeichnet. 2022 begrüßte der Hafen 1,5 Millionen Kreuzfahrtpassagiere, im letzten Jahr stieg diese Zahl sogar auf 2,5 Millionen. Solche Zahlen sind natürlich wirtschaftlich bedeutsam – sie bringen der Stadt Einnahmen und schaffen Arbeitsplätze.
Aber um welchen Preis? Mit wachsender Umweltbelastung und gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung ist der gesellschaftliche Widerstand nachvollziehbar. Werden andere Städte dem Beispiel von Venedig und Amsterdam folgen und auch Marseille in Zukunft seine Tore für die Kreuzfahrtriesen schließen?
Wohin führt der Weg?
Die Protestaktion in Marseille sollte ein klarer Weckruf sein – nicht nur für die Kreuzfahrtindustrie, sondern auch für die Verantwortlichen der Stadt. Die Umweltaktivisten haben es geschafft, das Thema der Luftverschmutzung durch Schiffe erneut ins Rampenlicht zu rücken. Doch die Frage bleibt: Wird sich etwas ändern?
In Anbetracht der wachsenden Zahl an Protesten und der zunehmenden Reaktionen von Städten auf die Kreuzfahrtbranche scheint es, als würde der Druck weiter steigen. Die Zukunft des Kreuzfahrttourismus in Europa könnte bald anders aussehen. Schauen wir mal, ob diese Aktion der Beginn einer größeren Bewegung ist oder ob es bei diesem kurzen Aufbegehren bleibt.
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