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Straßennamen erzählen Geschichten – und lange Zeit waren diese Geschichten fast ausschließlich männlich. Doch in Bonneuil-sur-Marne, einer kleinen Stadt im Val-de-Marne, hat sich das Bild radikal gewandelt. Zum Internationalen Frauentag am 8. März hat die Stadt mehr als 50 % ihrer Straßen und öffentlichen Plätze nach Frauen benannt. Ein symbolischer Akt mit einer klaren Botschaft: Frauen gehören sichtbar in den öffentlichen Raum.

Ein längst überfälliger Schritt

In ganz Frankreich sind Straßen, Plätze und Gebäude nach historischen Persönlichkeiten benannt – doch nur selten nach Frauen. In Paris beispielsweise stieg der Anteil von Straßennamen, die Frauen gewidmet sind, von 6 % in den 2000er-Jahren auf heute 15 %. In Tours soll er von 4 % auf 7 % steigen. Aber landesweit bleibt die Zahl erschreckend niedrig.

Bonneuil-sur-Marne wollte nicht länger warten. Mit der Umbenennung von 80 Straßen und Plätzen hat die Stadt ein starkes Zeichen gesetzt. „Es ging darum, eine Ungerechtigkeit zu korrigieren“, erklärt Sonia Laroum, stellvertretende Generaldirektorin der Stadtverwaltung. Der Wandel war nicht nur ein symbolischer Akt, sondern auch ein Bildungsprozess für die Bürgerinnen und Bürger.

Von Mahsa Amini bis Simone Veil: Frauen, die Geschichte schreiben

Wer heute durch Bonneuil-sur-Marne spaziert, begegnet Namen, die bewegen:

  • Rue Mahsa Amini erinnert an die iranische Studentin, die 2022 nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei starb. Ihr Name wurde zum Symbol für den Kampf gegen Unterdrückung und für Frauenrechte weltweit.
  • Centre Louise Voëlckel, ein intergenerationelles Zentrum, ehrt eine Kämpferin für soziale Gerechtigkeit.
  • Rue Assia Djebar trägt den Namen der algerischen Schriftstellerin, die für Frauenrechte in der arabischen Welt eintrat.

Für viele Bürgerinnen und Bürger bedeutet diese Veränderung vor allem eines: Anerkennung und Erinnerung. „Ich habe mit Simone Veil gearbeitet, 1975. Sie hat sich wirklich durchgekämpft. Es ist gut, dass junge Leute wissen, wer diese Frauen waren“, sagt Marie, eine 70-jährige Bewohnerin der Stadt.

Nicht nur Schilder wechseln – sondern auch Bewusstsein

Natürlich bringt eine solche Umbenennung Herausforderungen mit sich. Briefe und Pakete müssen umgeleitet werden, Adressen geändert – ein bürokratischer Aufwand. „Es macht das Leben ein bisschen komplizierter“, gesteht Marie. Doch für sie überwiegt der positive Aspekt: Die neue Sichtbarkeit von Frauen in der Stadt.

Gleichzeitig bleibt die Frage: Reicht das? Eine Einwohnerin namens Ouiza bringt es auf den Punkt: „Es ist schön, Straßen nach Frauen zu benennen, aber das allein reicht nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen wirklich gleichgestellt sind – und es gibt immer noch zu viele Femizide.“

Ein Projekt mit Kosten, aber großem Mehrwert

Die Umbenennung war nicht nur eine gesellschaftspolitische Entscheidung, sondern auch eine finanzielle: Rund 20.000 Euro hat die Stadt investiert. Das Geld floss in neue Schilder, Informationskampagnen und Bürgerdialoge. Denn die Akzeptanz der Bevölkerung war entscheidend.

Rückblickend zeigt sich, dass die Umbenennung weit mehr war als nur ein Austausch von Schildern. Sie war eine bewusste Entscheidung für mehr Gerechtigkeit und für ein neues Bewusstsein. Bonneuil-sur-Marne hat damit ein Vorbild geschaffen – und vielleicht folgen bald weitere Städte diesem Beispiel.

Catherine H.

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