Die Leinwand ist ein bisschen dunkler geworden. Am 23. September 2025 ist Claudia Cardinale, eine der letzten Ikonen des europäischen Nachkriegskinos, im Alter von 87 Jahren in ihrem Haus im französischen Nemours verstorben – im Beisein ihrer Kinder. Ihr Tod bedeutet weit mehr als das Verschwinden einer Schauspielerin. Es ist ein Abschied von einer Epoche, in der Kino noch nach Zigarettenrauch, samtroten Vorhängen und großen Träumen roch.
Claudia Cardinale, geboren am 15. April 1938 in Tunis, verkörperte wie kaum eine andere Schauspielerin die goldene Ära des italienischen Films. Sie war zugleich Leinwandgöttin und bodenständige Frau, schillernde Diva und stille Kämpferin. Und sie hinterlässt eine Filmografie, die bis heute Maßstäbe setzt.
Von Tunis nach Rom – ein unerwarteter Weg zur Schauspielerei
Cardinales Geschichte beginnt nicht in Cinecittà, sondern im nordafrikanischen Tunis. Sie wuchs als Tochter einer italienischen Familie auf, sprach zu Hause Sizilianisch, in der Schule Französisch. Das Kino? Zunächst nur eine ferne Welt. Doch ein Schönheitswettbewerb mit dem Titel „Die schönste Italienerin in Tunesien“ brachte sie 1957 nach Venedig. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden, doch das Schicksal entschied anders.
Der Preis – eine Reise zu den Filmfestspielen – öffnete Türen, die sie nie gesucht hatte, und doch war es der Startschuss für eine beispiellose Karriere. Bald stand sie vor der Kamera, und Rom, das damals das pulsierende Herz der europäischen Filmindustrie war, nahm die junge Frau aus Tunis mit offenen Armen auf.
Die Muse der großen Regisseure
In den 1960er-Jahren war Claudia Cardinale unübersehbar. Sie arbeitete mit Regisseuren, die heute als Legenden gelten: Federico Fellini, Luchino Visconti, Sergio Leone. In Fellinis „8½“ spielte sie die Traumfrau eines zerstreuten Regisseurs, in Viscontis „Der Leopard“ verkörperte sie an der Seite von Burt Lancaster und Alain Delon die Verlockung der Moderne. Und in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ wurde sie zur geheimnisvollen Jill – eine Rolle, die das Western-Genre für immer veränderte.
Hollywood klopfte ebenfalls an. „The Pink Panther“, „The Professionals“ – internationale Produktionen boten ihr Ruhm und Reichtum. Doch Cardinale blieb Europa treu. Sie entschied sich bewusst gegen eine reine Hollywood-Karriere. Ihr Platz war in Italien, in Frankreich, in jener Filmkultur, die mehr auf Charaktere und Geschichten als auf Glamour und Blockbuster setzte.
Schönheit mit Widerstandskraft
Claudia Cardinale galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Doch sie wollte nicht auf ihre Erscheinung reduziert werden. Sie spielte Figuren mit Tiefe, mit Brüchen, mit Ambivalenz. Frauen, die mehr waren als bloße Projektionsflächen männlicher Fantasien.
Dabei war ihr eigenes Leben von Härten geprägt. In jungen Jahren erlitt sie sexualisierte Gewalt, die zu einer Schwangerschaft führte – eine Erfahrung, die sie lange geheim halten musste. Erst Jahre später sprach sie offen darüber. Ihr Sohn Patrick wuchs zunächst als „Bruder“ auf, bevor die Wahrheit publik wurde. Trotz dieser Erfahrung ließ sie sich nicht brechen, sondern kämpfte für ihre Autonomie – beruflich wie privat.
Mit dem Regisseur Pasquale Squitieri verband sie eine jahrzehntelange Partnerschaft, die bis zu seinem Tod 2017 andauerte. Zusammen hatten sie eine Tochter, Claudia.
Eine Stimme für Frauenrechte und Menschlichkeit
Cardinale nutzte ihre Prominenz nicht nur für Glamour und Filmplakate. Sie engagierte sich öffentlich für Frauenrechte und humanitäre Anliegen. Ihre eigene Geschichte machte sie zu einer glaubwürdigen Stimme gegen Gewalt und für Gleichberechtigung.
Als UN-Botschafterin für Frauenrechte setzte sie sich dafür ein, dass Themen wie Selbstbestimmung, Schutz vor Übergriffen und Bildung von Mädchen nicht im Schatten der großen Politik verschwinden.
Der Tod einer Ära
Mit Claudia Cardinale verlässt eine der letzten noch lebenden Ikonen des europäischen Films die Bühne. Sie war Teil einer Generation, die Film nicht nur machte, sondern lebte – eine Generation, die Kino als Kunst, als Bühne der Sehnsucht und als Spiegel der Gesellschaft verstand.
Ihr Tod bedeutet nicht nur den Verlust einer Schauspielerin, sondern auch das endgültige Ende einer Ära, die von Namen wie Fellini, Visconti und Leone geprägt wurde. Und doch bleibt etwas zurück: ihre Filme, ihre Haltung, ihre unverwechselbare Mischung aus Schönheit und Stärke.
Wird es jemals wieder Schauspielerinnen geben, die zugleich so geheimnisvoll, so nahbar und so kompromisslos eigenständig sind?
Empfehlung für alle, die sie (neu) entdecken möchten
Wer Claudia Cardinale heute kennenlernen will, sollte in diese Filme eintauchen:
- „8½“ (1963) – Fellinis Meisterwerk über Träume und kreative Krisen.
- „Der Leopard“ (1963) – ein Monument des europäischen Historienfilms.
- „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) – Sergio Leones epischer Western, in dem Cardinale die vielleicht wichtigste Frauenrolle des Genres spielt.
Diese Filme sind nicht nur Klassiker, sie sind Zeitreisen. Sie zeigen eine Schauspielerin, die ihre Rollen nicht spielte, sondern verkörperte.
Claudia Cardinale war eine Frau, die ihre Schönheit nie zur Maske machte, sondern zur Waffe. Eine Künstlerin, die dem Kino ihren Stempel aufdrückte, ohne laut sein zu müssen. Ihr Lächeln bleibt. Ihr Blick bleibt. Und ihre Filme werden noch lange leuchten, wenn die Scheinwerfer längst erloschen sind.
Autor: C.H.
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