Nach langem Ringen und einer gescheiterten Konferenz in Kolumbien hat die Weltbiodiversitätskonferenz COP 16 in Rom doch noch eine Einigung erzielt – buchstäblich in letzter Minute. Der neue Finanzierungsplan für den globalen Artenschutz steht. 200 Milliarden US-Dollar sollen bis 2030 mobilisiert werden, 20 bis 30 Milliarden davon jährlich als direkte Ausgleichszahlungen an ärmere Länder. Ein wichtiger Schritt für die Umsetzung des „Weltnaturvertrags“, doch bleibt die Frage: Ist das wirklich der Durchbruch, den die Natur so dringend braucht?
Denn während die politischen Verhandlungen im Schneckentempo laufen, schreitet der Verlust der biologischen Vielfalt in atemberaubendem Tempo voran.
Einigung mit Verzögerung – aber zu welchem Preis?
Es war ein zähes Ringen: Vier Monate nach dem gescheiterten Versuch in Kolumbien kam es in Rom fast zu einer Wiederholung des Dramas. Noch am letzten Konferenztag standen die Verhandlungen auf der Kippe. Ärmeren Staaten gingen die Zusagen nicht weit genug, während reichere Länder um konkrete finanzielle Verpflichtungen herumlavierten. Erst wenige Minuten vor Ablauf der Frist kam es zur Einigung – und das nach drei Tagen zäher Diskussionen.
Was genau wurde beschlossen?
✔ 200 Milliarden Dollar pro Jahr sollen für den weltweiten Biodiversitätsschutz bis 2030 mobilisiert werden – inklusive staatlicher und privater Gelder.
✔ 30 Milliarden Dollar pro Jahr sollen ab 2030 als direkte Ausgleichszahlungen von reichen an ärmere Länder fließen.
✔ 30 Prozent der Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden.
Das klingt ambitioniert. Aber ist es genug?
Geld allein reicht nicht – wo bleibt der strukturelle Wandel?
Die Zahlen beeindrucken, doch ohne einen echten Umbau unseres Wirtschaftssystems bleibt der Biodiversitätsschutz Stückwerk. Der Kern des Problems: Noch immer fließen weltweit jährlich über 1,8 Billionen Dollar in umweltschädliche Subventionen – also in industrielle Landwirtschaft, fossile Energien oder Überfischung.
Was bringt es, Schutzgebiete auszuweisen, wenn gleichzeitig der Regenwald für Soja-Plantagen abgeholzt wird?
Viele NGOs kritisierten deshalb, dass die COP 16 zwar einen Finanzierungsplan geliefert hat, aber keinen klaren Mechanismus, um umweltschädliche Subventionen abzubauen. Besonders Länder des globalen Südens forderten, dass Industriestaaten nicht nur zahlen, sondern auch ihre eigenen Wirtschaftssysteme nachhaltig umbauen. Doch in diesem Punkt blieb Rom vage.
Ein weiteres Problem: Der private Sektor bleibt zu unverbindlich. Obwohl Unternehmen eine zentrale Rolle spielen, bleibt unklar, wie sie stärker in die Finanzierung einbezogen werden. Ohne klare Vorgaben für nachhaltige Lieferketten oder Sanktionen für umweltschädliches Wirtschaften bleibt der Druck auf die Natur hoch.
Biodiversität ist mehr als Naturschutz – es geht um unser Überleben
Manchmal wird Biodiversitätsschutz als „Luxusproblem“ abgetan – als etwas für Naturliebhaber oder Wissenschaftler. Ein fataler Irrtum.
Ohne Biodiversität gibt es keine stabile Landwirtschaft, keine sauberen Flüsse, keine funktionierenden Ökosysteme, die Extremwetter abpuffern. Ein Beispiel: 75 Prozent unserer Nahrungspflanzen sind von Bestäubung durch Insekten abhängig. Doch Bienen und Schmetterlinge verschwinden in alarmierendem Tempo.
Die Weltbank warnt, dass der Biodiversitätsverlust bis 2030 wirtschaftliche Schäden in Höhe von über 2,7 Billionen Dollar jährlich verursachen könnte. Besonders betroffen sind Länder, die stark von natürlichen Ressourcen abhängig sind – und das sind oft genau die Staaten, die sich die höchsten Naturschutzkosten nicht leisten können.
Das heißt: Biodiversität ist nicht nur ein Umwelt- oder Wissenschaftsthema, sondern eine Frage wirtschaftlicher Stabilität und globaler Gerechtigkeit.
Wer zahlt? Und warum fehlen die USA?
Eine der größten Schattenseiten der COP 16 ist die Abwesenheit der USA. Die Vereinigten Staaten haben das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) von 1992 nie ratifiziert – als eines von nur wenigen Ländern weltweit. Das ist besonders pikant, weil die USA einer der größten Umweltverschmutzer und Heimat vieler global agierender Konzerne sind.
Ein Land, das weltweit mitverantwortlich für Artenverlust ist, sollte auch zur Finanzierung beitragen. Doch in Rom war Washington nicht vertreten. Eine klare Botschaft? Leider ja.
Auch die Rolle Chinas bleibt zwiespältig. Das Land investiert zwar massiv in Naturschutzprogramme, betreibt aber gleichzeitig umweltschädliche Megaprojekte.
Fakt ist: Ohne die größten Wirtschaftsmächte der Welt – USA, China, EU – als treibende Kraft bleibt die Finanzierung eine wacklige Angelegenheit.
Und jetzt? Der Blick nach vorne
Die COP 16 hat eines gezeigt: Der politische Wille für mehr Naturschutz wächst – aber der Widerstand gegen tiefgreifende Veränderungen bleibt groß.
Drei Punkte sind jetzt entscheidend:
🔹 Mehr Verbindlichkeit statt bloßer Versprechen: Ohne klare Mechanismen zur Umsetzung bleiben viele Zusagen leere Worte.
🔹 Wirtschaftliche Anreize für Unternehmen und Staaten schaffen: Schutzgebiete allein reichen nicht – es braucht ein Wirtschaftssystem, das Biodiversität schützt statt zerstört.
🔹 Globale Zusammenarbeit stärken: Naturschutz kann nicht national gedacht werden. Besonders die Rolle der USA muss dringend überdacht werden.
Denn eines ist sicher: Die Natur verhandelt nicht. Und je länger wir warten, desto höher wird der Preis.
MAB
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