Hoch über der Haute-Vienne, dort wo sich die Hügel wie Wellen im Morgennebel verlieren, liegt Courbefy. Ein paar verfallene Mauern, ein rostiges Eisentor, eine überwucherte Zufahrt. Kein Mensch, kein Laut – nur der Wind, der durch geborstene Fenster pfeift. Und doch war dieser Ort einmal lebendig. Ein Weiler voller Stimmen, Kinderlachen, und dem Duft von Holzfeuern. Heute ist er ein Symbol. Ein Rätsel. Ein Stück Frankreich, das zwischen Traum und Tragödie gefangen scheint.
Wie konnte ein Dorf, das einst Hoffnung atmete, in eine Geistergeschichte verwandelt werden?
Vom Weiler zum Ferienparadies
In den 1970er Jahren war Courbefy noch ein kleines, bodenständiges Dorf. Ein paar Bauern, Felder, Hühner, ein unscheinbarer Glockenturm. Nichts Besonderes – und genau das machte seinen Charme aus. Doch dann kam die große Landflucht. Die Jungen zogen fort, die Alten starben, und nach und nach erlosch das Leben.
Ein Unternehmer sah jedoch in den alten Steinen Potenzial. Er wollte Courbefy in ein Ferienzentrum verwandeln – mit Swimmingpool, Tennisplatz, Gästezimmern, Restaurant. Ein Stück Riviera mitten im Limousin. Und für kurze Zeit schien der Plan aufzugehen. Familien planschten im Pool, Kinder rannten über den Platz, die Dorfglocke schlug zum Mittagessen.
Doch Träume können bröckeln wie Putz an alten Mauern. Nach wenigen Jahren war das Geld weg, die Besucher blieben aus. Courbefy fiel in den Dornröschenschlaf zurück – und diesmal schien der Schlaf ewig.
Ein Dorf unter dem Hammer
Fast vier Jahrzehnte später, im Jahr 2012, tauchte Courbefy wieder in den Schlagzeilen auf. Nicht wegen eines neuen Projekts – sondern weil es verkauft werden sollte. Ganze zwölf Hektar, vierzehn Häuser, eine Kapelle, ein Pool. Startpreis: 300.000 Euro.
Ein Dorf wie ein Gebrauchtwagen! Die Weltpresse stürzte sich auf die Geschichte. „Ein ganzes französisches Dorf zu verkaufen!“ titelten amerikanische, britische und asiatische Medien. Kamerateams drängten sich zwischen den Ruinen. Courbefy war plötzlich berühmt – aber nicht belebt.
Dann kam der Käufer: Ahae, ein südkoreanischer Unternehmer, Fotograf, Milliardär – und Phantom. Niemand hatte ihn je gesehen. Er schickte Vertreter, kaufte den Ort anonym und ließ ihn ungenutzt verfallen. Jahre später fand man seine Leiche, verwest, in einem Garten bei Seoul. Ein Mann, so geheimnisvoll wie der Ort, den er besaß.
War das Zufall oder Fluch?
Die „Malédiction de Courbefy“ – Ein Film gegen das Vergessen
Die Filmemacherin Laurline Danguy des Déserts wollte genau das wissen. Ihr Dokumentarfilm „La malédiction de Courbefy“ (Der Fluch von Courbefy) zeichnet das bizarre Schicksal des Dorfes nach – vom bäuerlichen Alltag über die Ferienidylle bis zum medialen Spektakel.
„Ich erinnere mich, 2012 von einem Dorf gehört zu haben, das versteigert wurde“, erzählt sie. „Damals dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein! Und Jahre später spürte ich, dass dieser Ort noch immer eine Geschichte zu erzählen hat.“
Sie fand sie – in den Mauern, in der Stille, in den Legenden.
Die Kamera fängt das Licht ein, das über den Hügeln tanzt, und die Schatten, die sich in den Fenstern brechen. Das Dorf wirkt fast wie ein Filmset – ein Ort zwischen Realität und Fiktion. „Man spürt dort etwas“, sagt die Regisseurin, „eine seltsame Energie, als wären Erinnerungen noch greifbar. Ich übertreibe kaum: Es ist, als wären Geister geblieben.“
Eine Spur von Wahnsinn
Wer einmal durch Courbefy geht, begreift, wie dicht hier die Gegensätze beieinander liegen. Schönheit und Verfall, Hoffnung und Aufgabe, Mensch und Natur. Noch immer steht die alte Kapelle, halb eingestürzt, halb trotzig. Die Betonpiste der ehemaligen Kartbahn schimmert durch Gras und Moos. Und neben der leeren Poolschale liegen Blätter wie vergilbte Briefe.
Einer der Anwohner aus Bussière-Galant, der den Ort noch aus Kindertagen kennt, sagt im Film:
„Früher hörte man hier menschliche Stimmen, jetzt hört man nur den Wind flüstern. Vielleicht sind’s dieselben.“
Ein Satz, der hängen bleibt.
Zwischen Mythos und Wiedergeburt
Courbefy zieht Menschen an – nicht wegen dem, was es ist, sondern wegen dem, was es einmal war. Künstler träumen davon, den Ort zu beleben, ihn zu einem kreativen Rückzugsort zu machen. Andere sehen darin einen Ort des Gedenkens, ein Mahnmal des ländlichen Niedergangs.
Die Bürgermeisterin von Bussière-Galant glaubt an eine Zukunft: „Man könnte dort Wanderunterkünfte schaffen, Kunstresidenzen, einen kleinen Markt – es gäbe Möglichkeiten genug.“
Aber will Courbefy überhaupt zurück ins Leben? Oder liebt es seine Stille, seine melancholische Poesie zu sehr?
Man weiß es nicht. Doch vielleicht liegt genau darin seine Magie. Manche Orte erzählen keine fertigen Geschichten – sie flüstern sie nur.
Der Fluch der Vergänglichkeit
„La malédiction de Courbefy“ ist weniger ein Film über ein verlassenes Dorf als ein Spiegel unserer Zeit. Er erzählt vom Wunsch, zu besitzen, ohne zu verstehen. Vom Drang, zu retten, was vielleicht gar nicht gerettet werden will. Und von der unaufhaltsamen Rückkehr der Natur, die irgendwann jedes menschliche Werk umarmt – und verschluckt.
Wer Courbefy besucht, merkt schnell: Da schwingt etwas Ewiges mit. Kein echter Fluch, sondern eine Erinnerung. Eine Erinnerung daran, dass Schönheit und Zerfall oft nur eine dünne Mauer trennt.
Und wenn man am Abend dort steht, während die Sonne über der Haute-Vienne versinkt, dann könnte man fast meinen, irgendwo in der Ferne ein Kinderlachen zu hören. Oder ist das nur der Wind?
Ein Artikel von M. Legrand
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