Tag & Nacht


In Großbritannien sorgte die Labour-Regierung unter Premierminister Keir Starmer jüngst für Aufsehen: Ein neues Gesetzespaket zur Asylpolitik sieht drastische Verschärfungen vor. Flüchtlingsstatus soll künftig regelmäßig überprüft werden, der Weg zum Daueraufenthalt deutlich erschwert: Wer dauerhaft bleiben will, muss mindestens 20 Jahre warten. Begleitet wird das Vorhaben von symbolisch aufgeladenen Maßnahmen wie der Konfiszierung von Schmuckstücken, um Unterbringung und Verpflegung von Asylsuchenden zu finanzieren – ein Schritt, den Kritiker als „performative Grausamkeit“ bezeichnen.

Starmer reagiert damit auf eine Herausforderung, vor der viele zentristische Regierungen in Zeiten des erstarkenden Populismus stehen: Wie lassen sich die Sorgen der Bevölkerung über Migration ernst nehmen, ohne dabei grundlegende liberale Werte zu verraten?

Obwohl Labour bei den Wahlen 2024 einen klaren Sieg errang, liegt die rechtspopulistische Reformpartei mittlerweile in Umfragen zweistellig vorn. Deren Narrativ: Die Einwanderung sei außer Kontrolle geraten, sie gefährde die britische Identität und überlaste das Gemeinwesen.

Doch Starmer orientiert sich nicht an der Rechten – sondern an Dänemark. Dort hat eine sozialdemokratische Regierung gezeigt, wie man migrationspolitisch hart durchgreifen kann, ohne die eigene linke Identität aufzugeben. Ihr Argument: Eine restriktive Migrationspolitik sei notwendig, um den Wohlfahrtsstaat aufrechtzuerhalten.

Abschreckung als Staatsprinzip

Kern der dänischen Asylpolitik ist Abschreckung. Der Aufenthalt für Schutzsuchende soll so unattraktiv gestaltet werden, dass möglichst wenige überhaupt ins Land kommen.

Bereits 2016 verabschiedete das dänische Parlament ein Gesetz, das die Beschlagnahmung von Wertgegenständen Asylsuchender erlaubt – zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Leistungen wurden deutlich gekürzt, die Asylverfahren verlängert, und es droht die Rückführung, sobald Herkunftsländer als „sicher“ gelten. Eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung ist frühestens nach acht Jahren möglich.

Die Zahlen scheinen der Strategie recht zu geben. Während 2015 noch rund 21.000 Personen in Dänemark Asyl beantragten, waren es 2024 nur noch etwas mehr als 2.000. Ein Rückgang ist zwar europaweit zu beobachten – nicht zuletzt, weil in Syrien nicht mehr flächendeckend Krieg herrscht –, doch in Dänemark ist er besonders ausgeprägt.

Politisch war dieser Kurs zunächst erfolgreich: Ministerpräsidentin Mette Frederiksen konnte sich trotz großer Unzufriedenheit im Land behaupten. Ihre Politik gilt als mitverantwortlich dafür, dass rechtspopulistische Kräfte im Land auf einem ihrer Hauptfelder – der Migrationspolitik – wenig Raum zur Profilierung fanden.

Frederiksen rechtfertigt den harten Kurs mit einem Argument, das allerdings weit über eine kurzfristige Wahltaktik hinausreicht: Ein funktionierender Wohlfahrtsstaat sei auf einen gesellschaftlichen Konsens angewiesen, insbesondere auf die Akzeptanz hoher Steuerlasten. Dieser Konsens aber werde durch zu starke Zuwanderung gefährdet – nicht nur ökonomisch, sondern kulturell. Wer linke Gesellschaftspolitik wolle, müsse Migration kontrollieren.

In der politischen Mitte Europas ist diese Argumentationslinie anschlussfähig. Die Niederlande, Deutschland und Schweden haben das „dänische Modell“ eingehend analysiert. Großbritannien ist nun der jüngste Fall.

Der linke Gegenwind

Doch das dänische Modell zeigt zunehmend Risse. Bei den Kommunalwahlen vergangene Woche verloren die regierenden Sozialdemokraten überraschend die Kontrolle über Kopenhagen – erstmals seit über 100 Jahren. In der Hauptstadt wandten sich viele Wähler einer weiter links stehenden Partei zu. Einige sprachen offen davon, die Einwanderungspolitik der Regierung als „grausam“ und „rassistisch“ zu empfinden.

Die Kritik geht noch tiefer: Maßnahmen, die illegale Migranten abschrecken sollen, hätten über die Jahre das gesellschaftliche Klima auch für legale Einwanderer verschlechtert. Laut dänischen Migrationsforschern leben infolge der Leistungskürzungen mittlerweile viele Flüchtlinge in Armut – mit Folgen für Kriminalität und Bildungserfolg.

So entsteht ein grundsätzlicher Zielkonflikt: Wer Migranten abschrecken will, erschwert auch die Integration derer, die bereits im Land sind. Diese Spannung könnte sich in Ländern wie Großbritannien noch verschärfen – nicht zuletzt, weil dort die Gesellschaft weitaus ethnisch durchmischter ist als in Dänemark, und legale Einwanderer für das Funktionieren zentraler Dienste – etwa des Gesundheitssystems – unabdingbar sind.

Eine exportfähige Blaupause?

Die zentrale Frage lautet daher: Ist das dänische Modell überhaupt übertragbar?

Dänemark ist ein kleines Land mit rund sechs Millionen Einwohnern – weniger als im Großraum London leben. Die Bevölkerung ist vergleichsweise homogen, kulturell wie sprachlich. Was dort funktioniert, muss nicht zwangsläufig auch in Ländern funktionieren, die seit Jahrzehnten durch Migration geprägt sind.

Dennoch hoffen Dänemarks Sozialdemokraten, dass die jüngsten Verluste in Kopenhagen – einer jungen, urbanen und wohlhabenden Hochburg – durch Stimmenzugewinne in konservativeren Landesteilen kompensiert werden. Der entscheidende Test wird die nächste Parlamentswahl 2026 sein. Regierungen in ganz Europa werden genau hinsehen.


WEITERE TOP-MELDUNGEN

Ein US-Friedensplan für die Ukraine
US-amerikanische und ukrainische Regierungsvertreter erklärten, man habe bei Gesprächen in Genf gestern Fortschritte im Hinblick auf Präsident Trumps Plan zur Beendigung des Krieges mit Russland erzielt.

Trump hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Frist bis Donnerstag gesetzt, um dem Friedensplan zuzustimmen. Während die Gespräche stattfanden, griff Trump die ukrainische Führung in sozialen Netzwerken an und warf ihr Undankbarkeit vor. Der 28-Punkte-Plan sieht vor, dass die Ukraine den meisten russischen Forderungen nachgibt – darunter die Abtretung von Gebieten, die sie militärisch bislang nicht verloren hat, die Einschränkung ihrer Streitkräfte sowie ein endgültiger Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft.

Für Selenskyj ist dies ein weiterer politischer Wendepunkt. Wird er der Situation gewachsen sein?


WEITERE NACHRICHTEN

  • Das israelische Militär teilte mit, bei einem Luftangriff am Stadtrand von Beirut im Libanon einen ranghohen Hisbollah-Kommandeur gezielt getötet zu haben. Nach Angaben libanesischer Behörden kamen bei dem Angriff mindestens fünf Menschen ums Leben.
  • Die globalen Klimaverhandlungen in Brasilien endeten mit einer stark abgeschwächten Abschlusserklärung, die fossile Energieträger – Hauptverursacher der Erderwärmung – nicht explizit erwähnte.
  • In Brasilien hat die Polizei den früheren Präsidenten Jair Bolsonaro festgenommen. Hintergrund ist die Sorge, er könne seine Hausarrestauflagen unterlaufen, um einer Haftstrafe wegen eines gescheiterten Umsturzversuchs zu entgehen.
  • Der G20-Gipfel in Johannesburg wurde ohne Beteiligung der Vereinigten Staaten beendet. Die USA hatten die Veranstaltung boykottiert, nachdem Trump Südafrika beschuldigt hatte, die weiße Minderheit im Land zu verfolgen.
  • Die britische Tageszeitung The Daily Telegraph steht laut eigenen Angaben kurz vor dem Verkauf an den Eigentümer der Daily Mail. Der Deal würde zu einer weiteren Konzentration konservativer Medien in Großbritannien führen.
  • Der Rücktritt der US-Abgeordneten Marjorie Taylor Greene bedeutete einen Rückschlag für die Republikanische Partei und offenbart wachsende Spannungen im rechten Lager.

Autor: P. Tiko

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