Der 15. Mai ist ein Datum, das auf den ersten Blick kaum Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und doch häufen sich an diesem Tag weltweit Ereignisse, die tief in die Geschichte eingegraben sind. Revolutionen, Wendepunkte, neue Anfänge – an kaum einem anderen Datum spiegeln sich so viele Facetten menschlichen Miteinanders wider. Wer hätte gedacht, dass dieser Tag so viel Stoff für ein kleines historisches Kaleidoskop bietet?
1525 – Das Blutbad bei Frankenhausen
In Deutschland markiert der 15. Mai 1525 das brutale Ende des Bauernkriegs – jener Erhebung einfacher Leute gegen Unterdrückung und feudale Willkür. Unter der religiösen Führung von Thomas Müntzer standen tausende Bauern bei Frankenhausen einem gut ausgerüsteten Fürstenheer gegenüber. Die Niederlage war vernichtend. Müntzer wurde gefoltert, dann hingerichtet – seine Vision eines „Gottesreichs auf Erden“ zerschellte an der Macht der alten Ordnung.
Die Schlacht ist bis heute ein bitteres Mahnmal für gescheiterte soziale Utopien. Und wenn man sich heute fragt, warum Protestbewegungen so schwer in strukturellen Wandel münden – ein Blick auf den 15. Mai 1525 gibt Antwort.
1648 – Diplomatie statt Degen
An diesem Tag wurde in Münster ein Teil des sogenannten Westfälischen Friedens unterzeichnet. Es war das Ende des Achtzigjährigen Kriegs zwischen den Niederlanden und Spanien. Nicht die berühmteste Etappe in der langen Geschichte dieses Friedens, aber eine wichtige: Sie verankerte staatliche Souveränität und religiöse Toleranz als Prinzipien internationaler Beziehungen. Der moderne Nationalstaat hatte hier seinen ersten Auftritt.
1770 – Die Ankunft Marie-Antoinettes
In Frankreich beginnt am 15. Mai 1770 eine der tragischsten Biografien der Geschichte: Die junge Marie-Antoinette erreicht an diesem Tag französischen Boden, um am kommenden Tag Ludwig XVI. zu heiraten. Die Ehe wurde zur Bühne politischer Intrigen, der Hof zum Symbol maßloser Dekadenz – und sie selbst zur Zielscheibe revolutionären Hasses.
Als sie fast ein Vierteljahrhundert später auf dem Schafott stand, konnte niemand mehr leugnen: Ihre Ankunft war der erste Schritt auf einem Weg, der Frankreich radikal verändern sollte.
1855 – Paris präsentiert sich der Welt
Am 15. Mai 1855 öffnet in Paris die erste französische Weltausstellung. Inspiriert vom Londoner Vorbild von 1851, stellte man Technik, Kunst und Industrie zur Schau – eine Bühne für die moderne Welt. Der Fortschrittsglaube war grenzenlos, die Nationalstolz-Maschine lief heiß. Diese Ausstellung war viel mehr als nur ein Event: Sie war ein kulturelles Ausrufezeichen und Vorläufer der heutigen Globalisierung.
1948 – Der Tag nach der Staatsgründung Israels
Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen, am 15. Mai begann der Krieg. Mehrere arabische Staaten erklärten dem neuen Staat den Krieg – der Beginn eines Dauerkonflikts, der bis heute ungelöst schwelt. Der 15. Mai ist damit nicht nur ein Wendepunkt für die jüdische Geschichte, sondern auch ein Trauertag für viele Palästinenser, die an diesem Datum der sogenannten „Nakba“ (Katastrophe) gedenken – ihrer Flucht und Vertreibung.
1955 – Österreich wird wieder selbstständig
Genau am 15. Mai 1955 unterzeichnen die vier Besatzungsmächte gemeinsam mit Österreich den Staatsvertrag. Damit endet die Nachkriegsbesatzung, Österreich wird ein neutraler Staat. Die Szene auf dem Balkon des Schloss Belvedere – mit dem berühmten „Österreich ist frei!“ – brannte sich ins kollektive Gedächtnis. Dieser Tag war für die Österreicher ein Neuanfang – und ein Modell dafür, wie ein neutrales Land zwischen Ost und West seinen Platz behaupten kann.
1958 – Frankreich ruft nach de Gaulle
Algerien brennt, die IV. Republik taumelt – und am 15. Mai 1958 ruft ein französischer General in Algier öffentlich: „Vive de Gaulle!“ Das war der Startschuss für die Rückkehr des Generals zur Macht. Wenige Wochen später wurde die Fünfte Republik geboren, mit einer neuen Verfassung und einem starken Präsidenten. Frankreichs politische Landschaft wurde umgekrempelt – der Schatten dieser Reformen reicht bis heute.
1968 – Der Mai, der alles auf den Kopf stellte
Am 15. Mai 1968 befand sich Frankreich im Ausnahmezustand. Die Studentenrevolte, die mit Parolen wie „Seid realistisch – fordert das Unmögliche!“ begann, hatte sich zu einer landesweiten Bewegung ausgewachsen. Fabriken wurden besetzt, Universitäten lahmgelegt, Millionen streikten. Es war ein Moment, in dem die französische Gesellschaft kollektiv in den Spiegel schaute – und vieles neu dachte: Autorität, Bildung, Arbeit, Sexualität.
Und heute? Manchmal wirkt der Pariser Mai wie eine ferne Rebellion in Schwarz-Weiß. Doch seine Nachwirkungen – etwa in der französischen Bildungspolitik, der Kunst oder der Debattenkultur – sind nicht zu übersehen.
Was lernen wir daraus?
Der 15. Mai zieht sich wie ein feiner Faden durch die Geschichte – mit Aufständen, Verträgen, kulturellen Umbrüchen. Ein Datum, an dem oft Neues begann oder Altes unterging.
Vielleicht lohnt es sich, den Kalender öfter mal aufzuschlagen und sich zu fragen: Was war eigentlich an diesem Tag? Manchmal liegt in einem scheinbar ganz normalen Datum ein kleines Stück Weltgeschichte verborgen – und manchmal sogar ein Wink für die Gegenwart.
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