Tag & Nacht

Man stelle sich vor, man fährt durch die verschneiten Wälder des Jura und plötzlich taucht ein scheues Wesen am Straßenrand auf – der europäische Luchs. Dieser majestätische, größte Wildkatze Europas, ist nicht nur ein seltener Anblick, sondern steht auch am Rande des Aussterbens in Frankreich. Nur etwa 200 Exemplare leben noch in freier Wildbahn, und ihre Zukunft hängt an einem seidenen Faden.

Bedrohung durch Straßen und Jäger

Straßen und illegale Jagd – das sind die größten Gefahren für den Luchs. In den Bergen und Wäldern des Jura werden immer wieder Tiere von Autos erfasst oder absichtlich erschossen. Warum das? Manche Jäger betrachten die scheuen Raubkatzen als Bedrohung für Wildbestände, obwohl der Luchs nur selten Jagdwild wie Rehe reißt. Diese Tötungen sind illegal, aber das schreckt offenbar nicht jeden ab.

Ein dramatisches Beispiel schildert der Naturfotograf Guillaume François, der mehr als 3.000 Tage im Jura verbracht hat, um die Tiere zu dokumentieren. Er fand eine erwachsene Luchsin – erschossen. Eine Szene, die das Herz bricht. Kann es wirklich sein, dass wir unsere Natur auf diese Weise zerstören?

Hoffnung auf vier Pfoten: Das Zentrum Athénas

Zum Glück gibt es Menschen, die nicht tatenlos zusehen. Das Zentrum Athénas im Jura ist ein Leuchtturm für verletzte Luchse. Es ist die einzige Einrichtung in Frankreich, die diese Wildkatzen behandelt und sie anschließend wieder in die Freiheit entlässt. Eine kleine Erfolgsgeschichte ist Praline, eine junge Luchsin, die nach einem Autounfall gerettet wurde.

Aline Glineur war im Jura unterwegs, als sie die schwer verletzte Praline auf der Straße entdeckte. Ohne zu zögern, hob sie das Tier in ihr Auto und brachte es nach Athénas. Eine Pfote war gebrochen – eine Operation war unumgänglich. Zum ersten Mal wagte sich das Team des Zentrums an einen so komplizierten Eingriff bei einem Luchs. Der Mut wurde belohnt: Praline überlebte und erholt sich seit Monaten.

Ein Neuanfang für Praline und andere

Im Frühling soll Praline zurück in die Wälder. Und sie ist nicht die Einzige: Rund 30 Luchse konnte das Zentrum Athénas in den letzten Jahren wieder auswildern. Einige der freigelassenen Weibchen haben sogar Nachwuchs bekommen – ein kleiner Lichtblick für die Art.

Doch das Überleben der Luchse hängt nicht nur von medizinischer Versorgung ab. Ihre Rückkehr erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Naturschützern, Behörden und der Bevölkerung. Die Wälder müssen sichere Rückzugsorte bleiben, Straßen sollten mit Wildbrücken und Zäunen gesichert werden, und die illegalen Abschüsse – die müssen aufhören.

Die Zukunft des Luchses – in unseren Händen

Was kann jeder von uns tun? Sensibilisierung ist ein Schlüssel. Der Luchs ist nicht nur eine Wildkatze, sondern ein Symbol für den Zustand unserer Natur. Jedes gerettete Tier ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch ohne breitere Maßnahmen bleibt die Zukunft dieser Art unsicher.

Die Frage bleibt: Wollen wir wirklich eine Welt, in der der Luchs nur noch in Geschichten existiert? Oder setzen wir uns dafür ein, dass er weiterhin durch die Wälder streift – als stummer Wächter der Wildnis?

Der Luchs mag bedroht sein, doch er kämpft. Und wenn wir uns anstrengen, hat dieser Kampf noch eine Chance.


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