Tag & Nacht




Am 9. Juni 2025 inszenierte sich der Rassemblement National (RN) als führende Kraft der europäischen Rechten. Auf einem ländlichen Gelände bei Mormant-sur-Vernisson im französischen Département Loiret versammelten sich über 5.000 Anhänger des RN, flankiert von prominenten Vertretern der europäischen Rechtsaußenparteien. Anlass war das einjährige Jubiläum des Wahlerfolgs bei den Europawahlen 2024, bei denen der RN mit 31,37 Prozent der Stimmen sein bisher bestes Ergebnis erzielte.

Im Mittelpunkt des Treffens stand die öffentlich zur Schau gestellte Geschlossenheit der Parteiführung. Marine Le Pen, obwohl seit März 2025 aufgrund einer Verurteilung wegen Veruntreuung europäischer Gelder für fünf Jahre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, trat als zentrale Figur auf. Ihre Botschaft war eine klare Kampfansage an das politische und juristische Establishment Frankreichs und der Europäischen Union.

Le Pen als Symbolfigur – trotz politischem Bann

Die dreifache Präsidentschaftskandidatin verurteilte ihre Ineligibilitätsstrafe als politisch motiviert. Die Justiz sei, so Le Pen, „instrumentalisiert worden“, um ihre Teilnahme an der Präsidentschaftswahl 2027 zu verhindern. In ihrer Rede zeichnete sie ein düsteres Bild der EU, die sie als „wokistisches, ultraliberales Imperium“ beschrieb, das im Begriff sei, Europa in einen Krieg zu führen. Mit dieser Rhetorik positionierte sie sich erneut als Stimme des Protests gegen das politische Zentrum, verbunden mit einer klaren Ablehnung der EU-Institutionen.

An ihrer Seite stand Jordan Bardella, der junge Parteichef und designierte Nachfolger. In seinen Ausführungen übernahm er zentrale Narrative Le Pens, geißelte die EU als „bürokratisches Monster“ und stellte insbesondere den europäischen Migrationspakt als Bedrohung für die nationale Souveränität Frankreichs dar. Seiner Darstellung zufolge zwingt Brüssel Frankreich, Migranten gegen den Willen der lokalen Bevölkerung in ländliche Regionen umzusiedeln – eine Interpretation, die die Ängste eines Teils der Bevölkerung gezielt bedient.

Orbán, Salvini, Abascal – das internationale Netzwerk der Rechten

Ein bemerkenswertes Zeichen war die Anwesenheit internationaler Verbündeter. Viktor Orbán, Matteo Salvini und Santiago Abascal verliehen dem Treffen den Anschein einer paneuropäischen Mobilisierung der Rechten. Orbán griff auf seine bekannte Argumentation des „Großen Austauschs“ zurück, nach der europäische Migrationspolitik zur Ersetzung der traditionellen Bevölkerung führe. Salvini wiederum beschwor das Bild einer „von Brüssel finanzierten Invasion islamistischer Illegaler“. Abascal sprach gar von einer historischen Notwendigkeit, dass „Marine kommt“ und „Frankreich zu Europa zurückkehrt“.

Die Symbolik war eindeutig: Der RN inszeniert sich nicht mehr nur als französische Oppositionskraft, sondern als Teil eines europaweiten Projekts der konservativen Wende. Die nationale Bühne wurde damit zur Kulisse für eine größere ideologische Allianz.

Zwischen Mobilisierung und Polarisierung

Der Event stieß nicht nur auf Zustimmung. Zeitgleich fand in Montargis eine Gegenkundgebung statt, organisiert von linken Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Rund 3.000 Teilnehmer protestierten gegen das Auftreten des RN und seiner Gäste, warnten vor einem „Rückfall in autoritäre Ideologien“ und sprachen von einer „neuen Gefahr für die Demokratie“. Die Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern des RN war greifbar – und sie dürfte sich im Vorfeld der kommenden Wahlen weiter zuspitzen.

Die Nachfolgefrage – Bardella rückt in den Fokus

Mit dem Ausschluss Le Pens von künftigen Wahlen steht Bardella nun mehr denn je im Zentrum der Parteistrategie. Der 29-jährige Parteivorsitzende verfügt über solide Zustimmungswerte, insbesondere bei jungen Wählern. Umfragen zufolge erreicht er in der Altersgruppe unter 35 fast die gleiche Unterstützung wie Le Pen. Seine politische Linie ist bislang eine Gratwanderung: Er versucht, die rebellische Grundhaltung des RN mit einem präsidialeren Habitus zu verbinden – eine Strategie, die sowohl das Erbe Le Pens wahrt als auch eine gewisse Modernisierung signalisiert.

Die Herausforderung besteht darin, die in den letzten Jahren betriebene „Dédiabolisation“ – also die Normalisierung und Entradikalisierung des Parteibilds – mit der engen Anbindung an Figuren wie Orbán oder Salvini zu vereinen. Letztere gelten vielen Franzosen nach wie vor als Inbegriff eines autoritären, illiberalen Konservatismus. Die Frage ist, ob sich der RN langfristig als Partei mit Regierungsperspektive oder als dauerhafte Protestbewegung positionieren will.

Ein strategischer Kraftakt mit offenem Ausgang

Die „Fête de la victoire“ war mehr als ein Jubiläum. Sie war ein strategisch inszenierter Moment, in dem der RN seine Wandlung zur europäischen Schlüsselpartei der Rechten vorführen wollte. Mit Marine Le Pen als Märtyrerin des Systems, Bardella als Hoffnungsträger der Jugend und einem Netzwerk internationaler Unterstützer präsentiert sich der RN als geschlossen, zukunftsorientiert – und gefährlich einflussreich.

Doch der Weg zur Macht ist steinig. Die Polarisierung der französischen Gesellschaft schreitet voran, und die Legitimität des RN bleibt umstritten. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Partei in der Lage ist, aus der aktuellen Dynamik einen echten politischen Durchbruch zu machen – oder ob der Schulterschluss mit den europäischen Rechtsnationalisten letztlich mehr schreckt als begeistert.

Von Andreas Brucker

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