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Frankreichs Regierung will den Haushalt konsolidieren – doch der Preis dafür wird nicht von den Reichsten bezahlt, sondern von der breiten Mitte der Gesellschaft.


Frankreichs Haushaltsentwurf für das Jahr 2026 offenbart ein bekanntes Muster: Wenn es eng wird in den Staatsfinanzen, greift Paris lieber zu Herkömmlichen als zu echten Strukturreformen. Mit dem erklärten Ziel, das Haushaltsdefizit unter Kontrolle zu bringen, plant die Regierung Mehreinnahmen in Höhe von rund 14 Milliarden Euro. Doch das vermeintlich ambitionierte Programm enthält keine neuen fiskalischen Aspekte – sondern eine Kaskade technischer Maßnahmen, die am Ende vor allem eine Gruppe treffen: den steuerlich ohnehin bereits stark belasteten Mittelstand.

Der Löwenanteil des neuen Steueraufkommens soll aus dem Einfrieren der Tarifgrenzen bei der Einkommenssteuer sowie den Sozialabgaben stammen. Was trocken klingt, hat in der Praxis einen spürbaren Effekt: Mit jeder inflationsbedingten Lohnerhöhung rutschen Arbeitnehmer unweigerlich in höhere Steuerklassen – ein Phänomen, das Ökonomen auf Deutsch als kalte Progression bezeichnen. Wer sich über eine nominelle Gehaltserhöhung freut, wird real oft stärker zur Kasse gebeten. Rund 200.000 Haushalte könnten dadurch erstmals steuerpflichtig werden.

Auch die Rücknahme oder Streichung von Steuervorteilen – etwa bei Renten oder haushaltsnahen Dienstleistungen – belastet tendenziell jene Gruppen, die weder zu den Wohlhabendsten gehören noch über komplexe Steuerkonstruktionen verfügen. Es sind Lehrer, Ingenieure, junge Familien und Rentner mit mittlerem Einkommen, die das Rückgrat des fiskalischen Konsolidierungskurses bilden sollen.

Die politische Kommunikation aber erzählt eine andere Geschichte: Es sei ein gerechter Plan, heisst es aus dem Palais Matignon. Man wolle auch die «großen Vermögen» in die Pflicht nehmen – unter anderem mit einer Sonderabgabe auf Holdingstrukturen oder der Verlängerung eines Mindeststeuersatzes für Spitzeneinkommen. Doch die symbolischen Auswirkungen dieser Maßnahmen bleiben überschaubar. Heute zahlen die obersten Einkommensklassen in Frankreich einen deutlich unterproportionalen Anteil der Einkommenssteuer. Die Fiskalpolitik bleibt also, bei allen Ankündigungen, im Wesentlichen auf die Mittelschicht fokussiert.

Auch die Wirtschaft mahnt zur Vorsicht. Zwar soll die schrittweise Abschaffung der CVAE – einer produktionsbezogenen Abgabe – Unternehmen entlasten. Gleichzeitig warnen Unternehmerverbände bereits vor neuen Belastungen durch die Kürzung von steuerlichen Anreizen. Besonders besorgniserregend: All diese Maßnahmen greifen in einem ökonomisch fragilen Moment. Das Wachstum ist verhalten, die Investitionsbereitschaft niedrig.

Noch ist das Budget nicht verabschiedet – und in der Assemblée Nationale regt sich Widerstand. Der erfahrene Haushaltsausschussvorsitzende Charles de Courson etwa hält den Plan für «in der jetzigen Form nicht mehrheitsfähig». Viel wird davon abhängen, ob die Regierung willens ist, Transparenz über die tatsächliche Verteilung der Lasten zu schaffen – und bereit, die Mitte der Gesellschaft nicht länger als fiskalpolitischen Selbstbedienungsladen zu behandeln.

Wer glaubwürdig sparen will, braucht nicht nur Mut zu grösserer Steuergerechtigkeit, sondern vor allem den Willen zu echter Priorisierung. Frankreichs Staat bleibt zu teuer – nicht weil die Bürger zu wenig zahlen, sondern weil der Apparat sich strukturellen Reformen systematisch entzieht.

Von Andreas Brucker

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