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Sie ragen still und majestätisch in den Himmel – Steinreihen, Menhire und gewaltige Grabhügel. Die Megalithen von Carnac sind mehr als archäologische Denkmäler. Sie sind das steinerne Gedächtnis einer Region, die nun auf eine besondere Auszeichnung hofft. Im Juli 2025 könnte das neolithische Ensemble in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen werden, der erste Titel dieser Art für die Bretagne und ein Meilenstein nach über einem Jahrzehnt gemeinsamer Anstrengungen.

Von der Bucht von Quiberon bis zum Golf von Morbihan erstreckt sich ein einzigartiges Kulturerbe: Über 550 monumentale Stätten verteilen sich auf 28 Gemeinden. Die berühmtesten? Die schnurgeraden Steinreihen von Carnac. Der Tumulus Saint-Michel, der wie eine grüne Kuppe über der Landschaft thront. Das kunstvoll verzierte Cairn von Gavrinis. Und der gigantische zerbrochene Menhir von Er Grah in Locmariaquer – 20 Meter lang, 280 Tonnen schwer. All diese Bauwerke entstanden zwischen 5000 und 3000 v. Chr. Ein Zeitalter, in dem Menschen ohne Metallwerkzeuge riesige Steine bewegten und uns ein rätselhaftes archäologisches Vermächtnis hinterließen. Wie schafften sie es? Und vor allem – warum?

Was macht dieses Ensemble so besonders? Seine Dichte. Seine architektonische Vielfalt. Die Gravuren im Cairn von Gavrinis – spiralförmig, abstrakt, symbolträchtig. Und die harmonische Einbettung in das bretonische Küstenpanorama. Diese Faktoren begründen den Antrag auf Anerkennung als „außergewöhnlichen universellen Wert“ – die höchste Würdigung der UNESCO.

Seit 2012 treibt die Vereinigung „Paysages de Mégalithes“ die Kandidatur voran. Sie vereint Kommunen, Staat, Wissenschaftler und Bewohner. Im Januar 2024 reichten sie ihr Dossier ein – gestützt auf fünf Hauptargumente: Nirgendwo sonst in Europa stehen so viele Megalithbauten auf so engem Raum. Einige Tumuli sind in ihrer Monumentalität einzigartig. Die Gravuren besitzen herausragende künstlerische Qualität. Die Funde – Werkzeuge, Keramiken, Schmuck – zeigen den Reichtum dieser Kulturen. Und schließlich die perfekte Verschmelzung von Mensch und Landschaft in diesem Küstengebiet. Ein detaillierter Managementplan begleitet die Bewerbung, um die langfristige Erhaltung, Forschung und Vermittlung zu sichern.

Doch nicht alle sind restlos begeistert. In Carnac wächst die Sorge vor einem Ansturm von Touristen. Mehr Busse, mehr Besucher – weniger Ruhe? Einige Archäologen kritisieren zudem die politische Dimension der Bewerbung. Sie fürchten, dass Marketing und Prestige über wissenschaftliche Sorgfalt gestellt werden. Hier zeigt sich ein altes Dilemma: Wie lässt sich Schutz mit Zugang verbinden? Wie bleibt ein Heiligtum ein Heiligtum – und wird nicht bloß zur Instagram-Kulisse?

Im Juli 2025 fällt die UNESCO-Entscheidung. Sollte sie positiv ausfallen, wäre dies ein historischer Erfolg für die Bretagne. Der erste UNESCO-Welterbe-Titel überhaupt für die Region. Und eine Anerkennung, die nicht nur Touristen anzieht, sondern auch den Respekt vor diesem uralten Erbe stärkt. Denn jeder Stein erzählt eine Geschichte. Von Menschen, die hier vor 7000 Jahren lebten. Von einer Welt, die uns fremd erscheint – und doch zu unseren Wurzeln gehört.

Andreas M. B.

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