Tag & Nacht

In den letzten Jahren haben französische Fischer, die einst mit randvollen Körben heimkehrten, zunehmend leere Netze. Seit 2018 hat sich die Menge der gefangenen Taschenkrebse dramatisch verringert – die Fänge sind auf ein Viertel der früheren Erträge gesunken. Was ist passiert? Diese Frage beschäftigt sowohl die Fischer als auch die Wissenschaft, und bislang gibt es keine eindeutige Antwort.

Ein unerwarteter Rückgang

Gérard Thomine, ein erfahrener Fischer aus Cherbourg, kennt die Situation nur zu gut. Wenn er heute mit seinem Boot in die Gewässer der Normandie aufbricht, ist seine Hoffnung auf eine ertragreiche Ausbeute gering. Früher waren seine Körbe voll mit den begehrten Krustentieren, doch seit 2018 ist alles anders. „Es ist ein Schock, wie wenig wir fangen“, sagt Thomine, der sich diese drastische Veränderung nicht erklären kann. Für ihn und seine Kollegen ist die Lage prekär – die Taschenkrebs-Population scheint auf mysteriöse Weise zu schrumpfen, und das ohne ersichtlichen Grund.

Ein wissenschaftliches Rätsel

Woran könnte es liegen? Die Fangquoten und Regulierungen, die ohnehin schon streng sind, scheinen keine Rolle zu spielen. Fischer halten sich genau an die Vorschriften, doch die Krebse bleiben aus. Möglicherweise stecken Parasiten oder Krankheiten hinter dem Phänomen. Auffällig ist, dass die wenigen gefangenen Exemplare oft nicht gesund wirken. „Sie haben keine schöne Farbe, sind mit Flecken übersät“, beschreibt Thomine die auffällige Veränderung der Krebse. Dieser Zustand hat die Aufmerksamkeit der Wissenschaft geweckt.

Forscher des französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer haben eine Untersuchung eingeleitet, um den Ursachen dieser rätselhaften Entwicklung auf den Grund zu gehen. Ihre erste Hypothese: Der Klimawandel könnte eine entscheidende Rolle spielen. Die sich verändernden Wassertemperaturen und die Verschiebung von Meeresströmungen könnten den Lebensraum der Taschenkrebse beeinträchtigen und sie in andere, kühlere Regionen verdrängen. Doch bislang fehlen handfeste Beweise für diese Theorie.

Norwegen: Ein sicherer Hafen für Taschenkrebse?

Während die französischen Fischer von dieser Krise hart getroffen werden, scheint ein Land noch verschont zu bleiben: Norwegen. Die norwegischen Gewässer haben bisher keine Anzeichen eines Rückgangs der Krebsbestände gezeigt. Das weckt die Frage: Was läuft dort anders? Liegt es an den klimatischen Bedingungen, den Umweltvorschriften oder schlicht am Glück? Noch ist unklar, warum die Taschenkrebse in Norwegen weiter gedeihen, während sie in Frankreich zunehmend rar werden.

Die Unsicherheit der Fischer

Für Fischer wie Thomine ist diese Situation ein Dilemma. Der Taschenkrebs, einst eine verlässliche Einkommensquelle, ist heute ein seltener Fang. Viele Fischer in der Region teilen seine Frustration. „Die Fischer sind ratlos“, sagt er, „wir halten uns an alle Vorschriften, aber die Krebse bleiben aus.“ Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Phänomens sind bereits spürbar. Für viele Fischer könnte es existenzbedrohend werden, wenn sich die Bestände nicht bald erholen.

Die Frage ist: Was kann getan werden? Während die Wissenschaftler fieberhaft nach Antworten suchen, müssen die Fischer improvisieren. Einige haben bereits begonnen, auf andere Fangmethoden und Meeresfrüchte auszuweichen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Doch der Verlust des Taschenkrebses trifft die Region hart – sowohl ökonomisch als auch kulturell. Schließlich war der Taschenkrebs in diesen Gewässern lange Zeit eine wichtige Ressource.

Hoffnung in der Forschung

Die Untersuchung von Ifremer könnte in den kommenden Monaten neue Erkenntnisse bringen. Sollten sich Umweltveränderungen als Ursache herausstellen, wird es jedoch nicht einfach sein, eine schnelle Lösung zu finden. Klimatische Veränderungen sind schwer rückgängig zu machen, und die Wiederherstellung eines gesunden Ökosystems erfordert Zeit – Zeit, die viele Fischer vielleicht nicht haben.

Doch vielleicht gibt es Hoffnung. Die Wissenschaftler untersuchen nicht nur klimatische Faktoren, sondern auch mögliche Krankheiten oder Parasiten, die die Krebspopulation geschwächt haben könnten. Sollte ein pathologischer Auslöser entdeckt werden, könnten gezielte Maßnahmen, wie beispielsweise Schutzgebiete oder die Einführung von Fangbeschränkungen, dazu beitragen, die Bestände zu regenerieren.

Wie geht es weiter?

Für Fischer wie Gérard Thomine bleibt die Zukunft ungewiss. Werden die Taschenkrebse eines Tages in die französischen Gewässer zurückkehren, oder müssen sich die Fischer dauerhaft auf andere Einnahmequellen verlassen? Diese Frage bleibt offen. Bis dahin bleibt die Hoffnung, dass die Wissenschaft eine Antwort auf das mysteriöse Verschwinden der Krebse findet – und dass die Fischer bald wieder mit vollen Körben zurückkehren können.

Es ist wie ein Wettlauf gegen die Zeit – und das Meer gibt seine Geheimnisse nur langsam preis.


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