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Frankreich lässt am Freitag „ausnahmsweise“ im Militärhafen von Toulon das humanitäre Schiff ‚Ocean Viking‘ mit 230 aus Seenot geretteten Migranten an Bord vor Anker gehen. Das Schiff stand in den vergangenen Tagen im Mittelpunkt eines Streits mit Italien, das seine Aufnahme abgelehnt hat.

Es ist eine Premiere für Frankreich. Das humanitäre Schiff ‚Ocean Viking‘ traf am Freitag, dem 11. November, im Militärhafen von Toulon ein. Es hatte 230 Migranten an Bord, die im Mittelmeer gerettet worden waren. Die Aufnahme des Schiffes führte zu heftigen Spannungen mit Italien und löst in Frankreich eine neue Polemik über das Thema Einwanderung aus.

Nach drei Wochen Irrfahrt auf der Suche nach einem sicheren Hafen in Italien legte die ‚Ocean Viking‘, ein von der NGO SOS Méditerranée gechartertes Ambulanzschiff, in Toulon an, „ausnahmsweise“ und aufgrund „der Pflicht zur Menschlichkeit“, wie der französische Innenminister Gérald Darmanin am Donnerstag bekannt gab.

Das Schiff, dessen Schicksal ein tagelanges Tauziehen zwischen Paris und Rom ausgelöst hatte, erreichte den Militärhafen Toulon gegen 8.30 Uhr. Die Migranten wurden Land in einer „Wartezone“ untergebracht, wie das Innenministerium erklärte.

Die Schiffbrüchigen an Bord der Ocean Viking, darunter 57 Kinder, die vor der Küste Libyens gerettet worden waren, „können das Verwaltungszentrum, in das sie gebracht werden, nicht verlassen und werden sich daher technisch gesehen nicht auf französischem Boden befinden“, sagte Gérald Darmanin.

Ihre Ankunft in Frankreich, die Marine Le Pen als „Laxheit“ bezeichnete, verunsichert vor allem die extreme Rechte während die Linke und die Umweltschützer eine „Entscheidung, die den Werten“ Frankreichs würdig ist, begrüßten.

Zwei Drittel der Migranten werden in andere europäische Länder gebracht
Ab Freitag werden die Flüchtlinge, die aus verschiedenen Ländern kommen, darunter einige Kriegsländer wie Syrien, gesundheitlich betreut und anschließend von den Geheimdiensten auf ihre Sicherheit überprüft, bevor sie vom französischen Amt für Flüchtlingsschutz (Ofpra), das den Flüchtlingsstatus vergibt, angehört werden, wie das Innenministerium mitteilte.

Inmitten der Vorstellung eines Entwurfs für ein Einwanderungsgesetz, das eine Reform der Asylverfahren vorsieht, um mehr Abschiebungen zu erreichen, erklärte das Innenministerium von Gérald Darmanin, dass „diejenigen, die kein Asyl erhalten, direkt aus dem Wartebereich in ihr Herkunftsland abgeschoben werden“.

Zwei Drittel der Migranten werden ohnehin nicht in Frankreich bleiben, sie sollen in insgesamt neun Länder umgesiedelt werden, erklärte das Ministerium und nannte insbesondere Deutschland, das etwa 80 Personen aufnehmen soll, Luxemburg, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Litauen, Malta, Portugal und Irland.

Der französische Innenminister kritisierte die neue rechtsextreme Regierung Italiens scharf, die sich geweigert hatte, ihre Häfen für die ‚Ocean Viking‘ zu öffnen, obwohl sie nach dem Seerecht dazu verpflichtet gewesen wäre: „Italien verhielt sich sehr unmenschlich“.

Er kündigte an, die geplante Aufnahme von 3.500 Migranten, die sich derzeit in Italien aufhalten, „mit sofortiger Wirkung“ auszusetzen und kündigte weitere „Konsequenzen“ für andere Aspekte der „bilateralen Beziehungen“ an.

SOS Méditerranée erklärt, dass man „Erleichterung und Bitterkeit“ empfinde. „Die Überlebenden haben ein wahres Martyrium hinter sich“, sagte die Direktorin der NGO, Sophie Beau, der Nachrichtenagentur AFP. Vier der 234 Migranten an Bord des Schiffes mussten am Donnerstag nach Korsika evakuiert werden, drei davon aus dringenden medizinischen Gründen.

Ein Fotograf, der mit SOS Méditerranée an Bord war, berichtete von Umarmungen, Gesängen und Freudentränen unter den Menschen, die meist aus Eritrea, Syrien und dem Südsudan stammen, und dass die Nachricht von der Landung an Bord Jubelszenen ausgelöst habe.

Es ist „dringend notwendig, dass die europäischen Staaten einen dauerhaften Verteilungsmechanismus einführen“, plädierte Sophie Beau, während Italien immer mehr migrantenfeindliche Erklärungen abgibt.

„Europa muss den Druck auf die italienische Regierung noch weiter erhöhen, um sie zu zwingen, ihre Verpflichtungen einzuhalten“, sagt Delphine Rouilleault, vom Verein France terre d’asile.

Seit Juni sieht ein EU-Relokalisierungssystem vor, dass ein Dutzend Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Deutschland, freiwillig 8.000 Migranten aufnehmen, die in sogenannten „Frontlinienländern“ wie Italien angekommen sind.

Allerdings wurden bisher nur 117 im Rahmen des im Juni beschlossenen Vorgehens umgesiedelt. Eine unzureichende Zahl, urteilt Italien.

Seit Jahresbeginn sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 1.891 Migranten bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, im Mittelmeer verschwunden, davon 1.337 im zentralen Mittelmeer.


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