Jede Sprache ist wie ein Fenster in eine einzigartige Welt – ein Schatz, der nicht nur Wörter, sondern auch Kultur, Geschichte und Identität bewahrt. Doch viele dieser Fenster drohen für immer zuzufallen. Am 21. Februar, dem Internationalen Tag der Muttersprache, rückt die Welt die Bedeutung sprachlicher Vielfalt in den Fokus. Doch warum ist dieser Tag so wichtig? Und welche Herausforderungen bringt der Erhalt von Muttersprachen mit sich?
Ein Tag für die sprachliche Vielfalt
Der Internationale Tag der Muttersprache wurde im Jahr 1999 von der UNESCO ins Leben gerufen, um auf die Notwendigkeit der Mehrsprachigkeit und des Spracherhalts aufmerksam zu machen. Das Datum erinnert an ein tragisches Ereignis: Am 21. Februar 1952 wurden in Dhaka, der heutigen Hauptstadt von Bangladesch, mehrere Studenten erschossen, als sie für die Anerkennung ihrer Muttersprache Bengalisch protestierten. Ihr Opfer wurde zum Symbol des Widerstands gegen sprachliche Unterdrückung.
Heute ist der Tag eine Mahnung und gleichzeitig eine Feier: eine Mahnung, weil weltweit fast 40 Prozent der Sprachen vom Aussterben bedroht sind, und eine Feier, weil Sprache ein verbindendes Element ist, das Menschen über Generationen und Grenzen hinweg zusammenhält.
Wenn Sprachen sterben – was geht verloren?
Sprache ist viel mehr als ein bloßes Kommunikationsmittel. Sie ist Träger von Wissen, Traditionen, Geschichten und Denkweisen. Wenn eine Sprache verschwindet, geht damit oft auch das über Jahrhunderte weitergegebene Wissen eines Volkes verloren – sei es über Heilpflanzen, traditionelle Erzählungen oder historische Ereignisse.
Laut Schätzungen gibt es weltweit etwa 7.000 Sprachen, doch mehr als 40 Prozent davon gelten als bedroht. Und das nicht ohne Grund: Globalisierung, Migration und wirtschaftliche Zwänge sorgen dafür, dass viele Minderheitensprachen von größeren, dominanteren Sprachen verdrängt werden. Eltern bringen ihren Kindern oft lieber eine weit verbreitete Sprache wie Englisch, Spanisch oder Chinesisch bei, weil sie darin bessere Zukunftschancen sehen. Ein verständlicher Gedanke – aber auch eine Entwicklung mit Risiken.
Ein drastisches Beispiel ist das Verschwinden indigener Sprachen in Nord- und Südamerika. Während vor der Kolonialisierung Tausende von Sprachen existierten, sind heute viele davon nur noch wenigen älteren Sprechern bekannt. Stirbt die letzte Person, die eine solche Sprache beherrscht, verschwindet sie unwiederbringlich. Ist das nicht erschreckend?
Muttersprache und Identität – eine untrennbare Verbindung
Die eigene Muttersprache ist mehr als nur ein Werkzeug zur Verständigung. Sie ist tief mit der Identität eines Menschen verbunden. Wer seine Muttersprache sprechen kann, fühlt sich oft stärker mit seiner Herkunft und Kultur verwurzelt.
Gerade Migranten erleben häufig, wie schwierig es ist, die Balance zwischen der Sprache des Herkunftslandes und der neuen Umgebung zu finden. Viele Eltern stehen vor der Entscheidung: Fördere ich die Muttersprache meines Kindes oder konzentriere ich mich auf die Sprache des Landes, in dem wir leben? Die Antwort sollte lauten: beides! Denn Mehrsprachigkeit ist kein Hindernis, sondern eine Bereicherung. Studien zeigen, dass Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, leichter eine zweite oder dritte Sprache lernen.
Doch nicht nur im familiären Umfeld, auch in der Bildungspolitik wird dieser Punkt oft unterschätzt. In vielen Ländern haben Minderheitensprachen kaum Platz im Bildungssystem, obwohl der Unterricht in der Muttersprache nachweislich zu besseren Lernerfolgen führt. Wer komplexe Sachverhalte in seiner eigenen Sprache verstehen kann, hat einen klaren Vorteil – doch in vielen Regionen der Welt ist Bildung in der Muttersprache nach wie vor ein Luxus.
Was kann getan werden?
Die gute Nachricht: Es gibt Hoffnung. Immer mehr Länder erkennen die Bedeutung des Spracherhalts und setzen sich für den Schutz bedrohter Sprachen ein. Digitale Technologien bieten neue Möglichkeiten – von Sprachlern-Apps über Online-Wörterbücher bis hin zu sozialen Medien, die dabei helfen, kleine Sprachgemeinschaften zu vernetzen.
Auch kulturelle Initiativen tragen ihren Teil bei. In Neuseeland etwa hat sich die Regierung verpflichtet, die Sprache der Māori bis 2040 wieder in den Alltag zu integrieren. In Wales gibt es verstärkte Bemühungen, Walisisch zu fördern. Und in Afrika erleben viele indigene Sprachen durch Bildungsprogramme eine Renaissance.
Doch auch jeder Einzelne kann etwas tun. Wer eine zweite oder dritte Sprache beherrscht, sollte sie mit Stolz sprechen und weitergeben. Eltern können ihre Kinder aktiv ermutigen, die Sprache ihrer Großeltern zu lernen. Und auch Medien und Bildungseinrichtungen müssen eine größere Verantwortung übernehmen, um sprachliche Vielfalt nicht nur zu bewahren, sondern auch zu feiern.
Ein Tag, der mehr Aufmerksamkeit verdient
Der Internationale Tag der Muttersprache ist kein Tag für Nostalgie, sondern eine Aufforderung zum Handeln. Er erinnert uns daran, dass Sprache mehr ist als Worte – sie ist Identität, Geschichte und Zukunft zugleich. Jede Sprache, die stirbt, ist ein unwiederbringlicher Verlust für die Menschheit. Doch jede Sprache, die weitergegeben wird, ist ein lebendiges Erbe, das Generationen überdauert.
Die Frage ist also nicht, ob Sprachen geschützt werden sollten, sondern wie wir das aktiv unterstützen können. Denn eines steht fest: Eine Welt mit vielen Stimmen ist eine Welt voller Vielfalt. Und Vielfalt ist es, die unsere Menschheit lebendig hält.
Von C. Hatty
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