Tag & Nacht




Wenn Gefängnisse brennen und Schüsse aus automatischen Waffen ihre Tore durchschlägt, dann ist nicht nur die physische Sicherheit in Gefahr – sondern das Vertrauen in die Grundfesten des Rechtsstaats.

Frankreich hat im April dieses Jahres eine Serie von Angriffen erlebt, deren Dimension und Symbolkraft sich nicht als bloße Randnotiz abtun lassen. Sie betreffen das Herz staatlicher Autorität: das Gefängniswesen – jenen Ort, an dem Strafe vollzogen, Ordnung verteidigt und Rechtsbrüche geahndet werden sollen. Und dann standen genau diese Orte im Zentrum gezielter Gewalt.

Eine Woche lang wurden Haftanstalten im ganzen Land Ziel nächtlicher Überfälle. Fahrzeuge standen in Flammen, Mauern wurden mit Parolen beschmiert, Einschüsse im Eingangstor des Gefängnisses von Toulon – was wie das Drehbuch eines Netflix-Thrillers klingt, war plötzlich Realität auf französischem Boden.

DDPF – ein Akronym mit doppelter Botschaft

Die Angriffe trugen eine Signatur: „DDPF“. Die Abkürzung steht für „Défense des Droits des Prisonniers Français“. Auf Telegram verbreiteten sich Bekennerschreiben und agitatorische Botschaften. Man trete für die Menschenrechte ein, heißt es – nicht als Terroristen, sondern als Anwälte der Entrechteten. Eine gefährlich verharmlosende Selbsterzählung.

Denn die Taten waren keine Flugblatt-Aktionen. Es waren Brandanschläge, bewaffnete Einschüchterung, organisierte Gewalt gegen Staatsorgane.

Die Vorstellung, eine Bewegung könne sich durch ein moralisch klingendes Etikett aus der Verantwortung für kriminelle Handlungen ziehen, darf sich nicht verfangen.

Der Drogenhandel übernimmt die Regie

Was zunächst als ideologisch motivierter Aufstand erschien, entpuppte sich bald als das Werk eines gut vernetzten Drogenkartells. Die DZ Mafia – eine Gruppe aus Marseille – rückt jetzt immer mehr ins Zentrum der Ermittlungen. Koordiniert von Inhaftierten, organisiert über verschlüsselte Kanäle, finanziert mit Drogengeldern. Der mutmaßliche Strippenzieher: ein 23-jähriger Häftling namens Imran A.

Die Ironie ist bitter: Aus einer Zelle heraus wird der Staat herausgefordert – mit Mitteln, die jede politische Botschaft zur Farce degradieren.

Inzwischen hat die Antiterror-Staatsanwaltschaft den Fall abgegeben – und das ist richtig. Es handelt sich nicht um politischen Extremismus, sondern um den Versuch organisierter Kriminalität, staatliche Institutionen zu destabilisieren. Ein Akt der Machtdemonstration – nicht der Überzeugung.

Ein Milieu zwischen Rebellion und Rekrutierung

Was besonders nachdenklich stimmt: Die Zusammensetzung der Tatverdächtigen. Minderjährige, ehemalige Strafgefangene, und auch bis dahin unbescholtene Jugendliche. Einige wurden offenbar bezahlt, andere unter Druck gesetzt. Wieder andere möglicherweise von einem Gefühl der „Gegenwelt“ getragen, in der der Staat nur als Feind erscheint.

Diese Gemengelage aus Rebellion, Opportunismus und organisierter Kriminalität ist hoch explosiv. Sie lebt von sozialen Bruchlinien, von enttäuschten Erwartungen – und von einem Justizsystem, das zunehmend überfordert wirkt.

Der Rechtsstaat darf nicht zögern

Die Reaktion der Regierung war klar: Präsident Macron kündigte die kompromisslose Verfolgung der Täter an, Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft, juristische Konsequenzen eingeleitet. Doch die symbolische Dimension reicht tiefer.

Wenn Gefängnisse angegriffen werden, dann wird der Staat nicht nur physisch verletzt – er wird in seiner Legitimität infrage gestellt. Und das darf nicht geschehen.

Die Republik muss beweisen, dass sie in der Lage ist, Gewaltmonopol und Rechtsstaatlichkeit auch gegen hybride Bedrohungen zu verteidigen – gerade dann, wenn sich Kriminelle den Anschein von politischem Aktivismus geben.

Ein System am Limit

Gleichzeitig aber darf diese Debatte nicht allein in der Sprache der Repression geführt werden. Die französischen Gefängnisse sind überfüllt, das Personal ist überlastet, Resozialisierung ist häufig nur Theorie. In einem solchen Umfeld gedeihen nicht nur Konflikte, sondern auch neue Machtstrukturen – und letztlich genau jene Parallelwelten, die nun das Gewaltmonopol herausfordern.

Hier liegt das Paradox: Der Rechtsstaat muss härter durchgreifen – und zugleich intelligenter reagieren.

Die Lektion aus den Anschlägen

Was bleibt, ist ein doppelter Befund: Die Angriffe offenbaren sowohl die Entschlossenheit krimineller Netzwerke, den Staat unter Druck zu setzen, als auch die strukturelle Schwäche eines überforderten Justizsystems.

Wer diese Bedrohung ernst nimmt, muss mehr tun als Polizei schicken. Er muss das System der Strafvollstreckung neu denken – als Ort der Gerechtigkeit, nicht der Radikalisierung.

Denn wo der Rechtsstaat schwächelt, wächst nicht nur die Kriminalität. Es wächst das Misstrauen in seine Wirksamkeit.

Und das ist der wahre Schaden.

Autor: Andreas M. B.

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