Noch vor wenigen Jahren stand das französische Unternehmen Les Forges de Tarbes kurz vor der Schließung. Heute jedoch brummt die Produktion wie nie zuvor. Getrieben von der steigenden Nachfrage nach Munition – insbesondere durch den Krieg in der Ukraine und den allgemeinen Wiederaufrüstungsbedarf Europas – ist die Fertigung von 155-mm-Artilleriegranaten zur obersten Priorität geworden.
Die Forges de Tarbes, die zum Unternehmen Europlasma gehören, sind der einzige Produktionsstandort in Frankreich für diese Art von Artilleriemunition. Ihre Aufgabe: Die Herstellung der hohlen Granatenkörper, die später mit Sprengstoff gefüllt und in den Einsatz geschickt werden.
Doch wie konnte sich dieses Unternehmen aus der Krise zu einem unverzichtbaren Bestandteil der europäischen Verteidigungsindustrie entwickeln?
Von der Schließung bedroht – jetzt unverzichtbar
Noch 2021 stand Les Forges de Tarbes vor dem Aus. Ohne große Aufträge war das Überleben des Betriebs fraglich. Doch mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine 2022 änderte sich alles.
Die Nachfrage nach Artilleriemunition explodierte förmlich, und plötzlich waren Produktionsstätten wie die in Tarbes heiß begehrt. Im Jahr 2024 wird das Werk fast 60.000 Granatenkörper herstellen – ein rasanter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Derzeit liegt die Produktionsrate bei 2.000 Granaten pro Woche, doch bis Ende des Jahres soll diese Zahl auf 15.000 pro Monat steigen.
Und das ist erst der Anfang. Langfristig könnte die Kapazität auf 20.000 Granaten pro Tag erhöht werden – eine enorme Zahl, aber im Vergleich zu Russland dennoch bescheiden. Dort liegt die Produktionskapazität bei 50.000 Granaten täglich.
Doch Europlasma produziert nicht nur für die Ukraine. Auch andere europäische Länder bestellen Artilleriemunition, darunter die Tschechische Republik, die kürzlich einen Auftrag über 50.000 Granatenkörper erteilt hat.
Neue Standorte für die europäische Rüstungsproduktion
Die Forges de Tarbes sind mittlerweile ein zentraler Akteur, aber das reicht nicht aus. Um die Produktion weiter zu steigern, plant Europlasma den Ausbau zusätzlicher Standorte.
Ein vielversprechendes Projekt ist die Wiederbelebung des Unternehmens Valdunes in Nordfrankreich. Ursprünglich spezialisiert auf die Produktion von Eisenbahnrädern, soll das Werk künftig auch großkalibrige Granaten fertigen.
Doch damit nicht genug: Europlasma zeigt auch Interesse an den Fonderies de Bretagne, einem ehemaligen Zulieferer der Automobilindustrie. Falls die Übernahme gelingt, könnte hier täglich die Produktion von über 20.000 mittleren Kalibergranaten (120 mm) aufgenommen werden.
Diese Expansion ist mehr als nur ein geschäftlicher Schritt – sie ist eine Antwort auf die drängende Frage nach der europäischen Verteidigungsfähigkeit.
Die Herausforderungen der Hochskalierung
Trotz der wachsenden Nachfrage gibt es zwei große Hürden, die das Wachstum der Rüstungsproduktion bremsen:
- Fachkräftemangel
Die Forges de Tarbes kämpfen mit einem akuten Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Besonders gefragt sind Schweißer, Schmiede und Kesselbauer – Berufe, die in den letzten Jahrzehnten immer weniger junge Menschen erlernen wollten. - Fehlende Maschinen und lange Lieferzeiten
Ein weiteres Problem ist die Anschaffung der notwendigen Maschinen. Besonders die Spezialwerkzeuge und Formen für die Produktion der Granaten sind schwer zu bekommen. Die steigende Nachfrage nach diesen Anlagen hat die Lieferzeiten verdoppelt, was den Produktionshochlauf verzögert.
Europas neue Rüstungsstrategie
Der Krieg in der Ukraine hat die europäische Verteidigungspolitik nachhaltig verändert. Während vor 2022 in Europa jährlich 300.000 bis 400.000 Artilleriegranaten produziert wurden, liegt die Zahl heute bei fast zwei Millionen pro Jahr – und sie soll weiter steigen.
Das Ziel ist klar: Europa will unabhängiger von externen Rüstungsproduzenten werden und eine eigene, leistungsfähige Rüstungsindustrie aufbauen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, brachte es kürzlich auf den Punkt:
„Wir brauchen eine sehr schnelle Erhöhung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten – und wir brauchen sie jetzt!“
Auch der Militärexperte Léo Péria-Peigné vom Institut Français des Relations Internationales (IFRI) sieht eine drastische Veränderung:
„Die Nachfrage ist enorm, und wenn die politischen Versprechen in die Tat umgesetzt werden, wird der Bedarf weiter steigen.“
Fazit: Europas Rüstungsindustrie vor einem neuen Zeitalter
Die Forges de Tarbes stehen sinnbildlich für die neue europäische Realität: Von der Krise zur Hochkonjunktur – angetrieben von geopolitischen Spannungen und der Notwendigkeit, die eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Ob dieser Boom von Dauer sein wird, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Wird Europa seine strategische Unabhängigkeit sichern können? Und wird es gelingen, genug Fachkräfte und Maschinen zu finden, um die Produktion weiter hochzufahren?
Fest steht: Die „Schmieden von Tarbes“ sind nicht mehr das vergessene Unternehmen von 2021. Sie sind heute ein Symbol für den Wandel der europäischen Verteidigungsindustrie – und für eine Zukunft, in der Rüstungsgüter wieder ein wirtschaftlicher Motor sind.
Ein Artikel von MAB
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