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Mit dem Misstrauensvotum gegen Michel Barnier und dem Sturz seiner Regierung tritt Frankreich in eine Phase der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit ein. Während Übergangsmechanismen den grundlegenden Betrieb des Staates sichern können, bleibt die Frage offen: Wie wird die politische Instabilität die wirtschaftliche Lage Frankreichs beeinflussen? Erste Einschätzungen von Experten zeichnen ein komplexes Bild aus potenziellen Gefahren und Herausforderungen.

Der wohl gravierendste Effekt ist die vorerst ausgesetzte Verabschiedung des Haushaltsplans 2025. Ohne einen neuen Haushaltsrahmen könnte es dazu kommen, dass die Regierung auf den Haushalt 2024 zurückgreift – ein Szenario, das finanzielle Einschnitte und Verzögerungen bei geplanten Investitionen zur Folge hätte. Ein solcher „eingefrorener Haushalt“ würde etwa 15 bis 18 Milliarden Euro an Staatsausgaben einsparen, wie der Wirtschaftsexperte Mathieu Plane vom OFCE erklärt. Doch soziale Ausgaben, die an die Inflation gekoppelt sind, würden automatisch steigen. Gleichzeitig müsste die Regierung auf geplante Steuererhöhungen verzichten, etwa auf eine Sonderabgabe für Topverdiener und Unternehmen.

Eine solche Konstellation würde Frankreichs Ziel gefährden, das Defizit 2025 auf 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken. Schätzungen der Bank Natixis zufolge könnte der Fehlbetrag stattdessen auf 5,3 % anwachsen. Die EU-Kommission, die Frankreich bereits wegen seiner hohen Defizite ermahnt hat, dürfte dies mit Sorge betrachten.

Für private Haushalte bringt die Unsicherheit zusätzliche Belastungen. Ein eingefrorener Haushaltsrahmen würde bedeuten, dass die Einkommensteuer nicht an die Inflation angepasst wird. Laut Berechnungen der Regierung könnten dadurch rund 400.000 Haushalte erstmals steuerpflichtig werden, während etwa 18 Millionen Steuerzahler höhere Abgaben schultern müssten. Michel Barnier hatte dies vor dem Sturz seiner Regierung als unvermeidliche Konsequenz eines fehlenden Haushaltsplans für 2025 dargestellt. Doch selbst bei einer späteren Verabschiedung des Budgets könnten einige dieser Effekte eintreten, da die Einkommen in 2024 voraussichtlich schneller steigen als die Inflation.

Auch die Gemeinden wären betroffen, da ihre Zuweisungen vom Staat eingefroren werden könnten. Manche Kommunen könnten versuchen, diesen Verlust durch höhere lokale Steuern – etwa auf Immobilien – auszugleichen. Dies könnte die Belastung der Bürger weiter erhöhen.

Für die französische Wirtschaft ist die politische Unsicherheit ein zusätzlicher Dämpfer. Öffentliche Investitionen, die bislang ein wichtiger Motor für Wachstum waren, könnten zurückgehen. Charles-Henri Colombier von Rexecode warnt davor, dass die aktuelle politische Lage Unternehmen und Haushalte zu Zurückhaltung und Abwarten verleitet. Dies könnte das Wirtschaftswachstum für 2025 weiter dämpfen und die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten verstärken.

Die Finanzmärkte haben bereits reagiert. Nach dem Sturz der Regierung stiegen die Zinsen für französische Staatsanleihen innerhalb weniger Stunden merklich an. Der sogenannte „Spread“ – der Zinsabstand zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen – erreichte Werte, die Frankreich in eine Nähe zu Ländern wie Griechenland rücken lassen. Auch wenn dieser Vergleich nicht direkt auf eine Krise wie in Griechenland vor zwölf Jahren hindeutet, bleibt das Signal alarmierend. Die wachsenden Kosten für die Bedienung der Staatsschulden könnten den Haushaltsspielraum weiter einschränken.

Es gibt jedoch auch Lichtblicke. Die Europäische Zentralbank hat zuletzt ihre Zinspolitik gelockert, was den Druck auf die Refinanzierungskosten der Staaten mindert. Dennoch warnt der Anleihenexperte Aurélien Buffault, dass eine andauernde politische Blockade die Geduld der Investoren strapazieren könnte. Sollte das Vertrauen weiter sinken, könnten die Zinsen in gefährliche Höhen schnellen.

Frankreich steht an einem Scheideweg. Der politische Stillstand hat das Potenzial, die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie ernsthaft zu gefährden. Ob ein neuer Premierminister schnell handlungsfähig wird, ist dabei entscheidend. Der nächste Haushaltsplan muss nicht nur die Defizite begrenzen, sondern auch den sozialen Frieden bewahren – eine Aufgabe, die schwieriger kaum sein könnte.


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