Tag & Nacht






Während die europäischen Hauptstädte noch mit der neuen geopolitischen Realität ringen, machen die USA und Russland Nägel mit Köpfen. In Saudi-Arabien kommen hochrangige Vertreter beider Länder zusammen, um eine Annäherung zu sondieren, die weitreichende Folgen für die internationale Ordnung haben könnte. Es geht um nichts Geringeres als die Neudefinition des westlich-russischen Verhältnisses, die Zukunft der Ukraine und eine mögliche Begegnung zwischen Präsident Donald Trump und Wladimir Putin.

Dass derartige Gespräche ohne europäische Beteiligung stattfinden, ist mehr als nur ein diplomatischer Fauxpas – es ist ein Signal. Während die transatlantische Achse in den vergangenen Jahrzehnten als Garant für Stabilität in Europa galt, scheint Washington nun bewusst einen anderen Kurs einzuschlagen. Europa schaut besorgt zu, wie die USA und Russland unter Ausschluss der europäischen Partner die Grundlagen einer neuen Sicherheitsarchitektur verhandeln. Paris, Berlin und Brüssel sehen sich gezwungen, auf eigene Initiativen zu setzen, um nicht vollständig ins Abseits gedrängt zu werden.

Die Rahmenbedingungen der Verhandlungen sind bemerkenswert. Russland, nach Jahren der wirtschaftlichen und militärischen Isolation, sieht in diesen Gesprächen eine Möglichkeit, seine Position zu festigen und eine vorteilhafte Lösung für den Ukraine-Krieg zu finden. Die USA unter Trump hingegen verfolgen einen pragmatischen, wenn nicht gar transaktionalen Ansatz. Trumps Administration ist bereit, traditionelle Bündnisse infrage zu stellen, wenn sie nicht unmittelbar amerikanischen Interessen dienen. Der Kreml könnte genau hierin eine Chance sehen, die eigenen geopolitischen Vorstellungen durchzusetzen – sei es eine neue Pufferzone in der Ukraine oder die Anerkennung russischer Kontrolle über bestimmte Gebiete.

Währenddessen reagiert Europa mit wachsender Unruhe. Das französische Staatsoberhaupt hat eilends ein Treffen europäischer Regierungschefs einberufen, um eine Antwort auf die amerikanisch-russischen Verhandlungen zu formulieren. Die alte Gewissheit, dass Washington stets europäische Sicherheitsinteressen wahrt, bröckelt. Auch innerhalb der NATO sind die Spannungen greifbar. Die Forderung der USA nach größerem europäischem Engagement in der Ukraine wird zwar laut geäußert, doch gleichzeitig entzieht sich Washington der gemeinsamen Abstimmung. Die Glaubwürdigkeit amerikanischer Sicherheitsgarantien steht auf dem Prüfstand.

Die Märkte haben auf die bevorstehenden Gespräche bereits reagiert. Während der Rubel leichte Kursverluste hinnehmen musste, bleibt die russische Währung auf einem stabilen Niveau – ein Zeichen dafür, dass Investoren mit einer gewissen Entspannung der geopolitischen Lage rechnen. Doch der eigentliche Test kommt erst nach den Verhandlungen. Sollte eine Einigung ohne Rücksicht auf die Ukraine und die europäischen Partner zustande kommen, könnte dies das transatlantische Verhältnis nachhaltig beschädigen und Europa zwingen, eine eigenständigere Sicherheitsstrategie zu entwickeln.

Es ist eine Zäsur in der internationalen Diplomatie. Die USA, einst die treibende Kraft hinter einer geeinten westlichen Ordnung, könnten sich endgültig in eine neue Rolle begeben: die eines Machtakteurs, der seine Allianzen je nach strategischer Opportunität formt. Russland, das sich über Jahre hinweg einer strikten Isolation gegenübersah, wittert die Möglichkeit, durch direkte Verhandlungen mit Washington alte Fronten aufzubrechen. Und Europa? Es steht vor der Herausforderung, sich neu zu positionieren – zwischen den Interessen eines unberechenbaren Partners und den realpolitischen Zwängen einer sich verändernden Weltordnung.

MAB

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