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23 Festnahmen, 40 Millionen Euro Umsatz – und ein deutliches Zeichen an das organisierte Verbrechen. Bereits am 24. April 2025 rückten Polizeikräfte in der berüchtigten Cité de la Castellane in Marseille an. Ziel: ein kriminelles Netzwerk zerschlagen, das den Stadtteil seit Jahren im Würgegriff hält.

Die Aktion ist Teil der nationalen Kampagne „Place nette“, einer großangelegten Strategie, mit der Frankreich die Schattenwirtschaft in sozialen Brennpunkten zurückdrängen will. Dass dieser Einsatz Schlagzeilen machte, ist kein Zufall – denn die Zahlen sprechen für sich.

Millionenumsätze mit Drogen – und das mitten in Europa

Die Cité de la Castellane ist kein Unbekannter im Kampf gegen den Drogenhandel. Bereits in der Vergangenheit galt der Stadtteil als Umschlagplatz für Rauschgift – doch was Ermittler jetzt offenlegen, übertrifft viele Vorstellungen.

Mehr als 40 Millionen Euro jährlich soll das nun zerschlagene Netzwerk erwirtschaftet haben. Die 23 festgenommenen Personen gehörten zur sogenannten „unteren Struktur“ – also den Verkäufern, Kurieren und Wachposten. Aber auch fünf ranghohe Mitglieder wurden gefasst und in Untersuchungshaft genommen.

Und das alles? Im Rahmen nur einer einzigen Operation.

Der Innenminister zeigt sich kämpferisch

Bruno Retailleau, seit Kurzem Frankreichs Innenminister, lobte den Einsatz als gezielten Schlag gegen das „obere Drittel des Drogenbanditentums“ in Marseille. Für ihn ist klar: Ohne solche entschlossenen Maßnahmen lasse sich kein Staat aufrechterhalten. Sein Ziel ist es, die öffentliche Ordnung in Regionen zurückzubringen, die längst vom Gesetz des Stärkeren regiert werden.

„Wir holen uns die Republik zurück“ – so Retailleaus Kampfansage.

Doch wie nachhaltig ist ein solcher Einsatz?

„Le Chat“ – ein Name, der Angst macht

Nur wenige Monate zuvor sorgte ein anderer Fall für Aufsehen: die Auslieferung von Félix Bingui, auch bekannt als „le Chat“, mutmaßlicher Kopf des berüchtigten „Clan Yoda“. Er wurde im Januar 2025 aus Marokko nach Frankreich überstellt.

Dem Clan werden sage und schreibe 35 Morde im Zusammenhang mit dem Drogenhandel allein im Jahr 2023 zugeschrieben. Der Fall Bingui unterstreicht, wie eng internationale und lokale Drogenkartelle inzwischen vernetzt sind – und wie schwer es ist, sie dauerhaft zu zerschlagen.

Eine Stadt unter Dauerstress

Trotz aller Erfolge bleibt Marseille ein Brennpunkt. Fast wöchentlich kommt es in den nördlichen Vierteln zu Schießereien, Anschlägen oder brutalen Abrechnungen zwischen rivalisierenden Banden. Die Behörden sprechen von mafiösen Strukturen, „labelartig“ organisiert – wie eine Franchise-Kette des Verbrechens.

Und während Spezialkommandos Drogenlabore stürmen, schalten sich längst Soziologen, Stadtplaner und Pädagogen ein. Denn klar ist: Repression allein reicht nicht.

Polizeieinsätze sind nur ein Teil der Lösung

Viele Bewohner der Castellane fühlen sich zwischen den Fronten. Die einen leben in Angst vor den Gangs, die anderen leiden unter den Polizeikontrollen. Perspektivlosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Bildungsangebote sind in diesen Vierteln Alltag. Wer mit 14 von der Schule fliegt und keine Ausbildung findet, für den ist der Drogenhandel oft die einzige wirtschaftliche Option.

Könnte man da nicht auch mal fragen: Was kommt nach dem Polizeieinsatz?

Eine langfristige Lösung braucht Investitionen in Bildung, Infrastruktur und gesellschaftliche Teilhabe. Ohne diese Basis bleibt jede Festnahme ein Strohfeuer – und das Netzwerk wächst an anderer Stelle einfach wieder nach.

Hoffnung oder Hilflosigkeit?

Die Aktion vom 24. April war ein wichtiger symbolischer und praktischer Schritt. Sie zeigt, dass der Staat handlungsfähig ist und den Drogenhandel nicht kampflos hinnimmt.

Doch sie zeigt auch, wie tief die Strukturen bereits greifen. Marseille kämpft nicht nur gegen Drogen – sondern gegen ein ganzes System, das sich längst in den Alltag gefressen hat.

Man könnte fast sagen: Der Staat muss den verlorenen Boden wieder zurückerobern – Straße für Straße.

Von Andreas M. Brucker

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