Tag & Nacht




Die Europäische Zentralbank steht kurz davor, ein neues Kapitel in der Geschichte des Geldes aufzuschlagen. Der digitale Euro, in nüchterner Sprache als Ergänzung zum Bargeld angekündigt, ist in Wahrheit weit mehr: Er ist das Angebot eines modernen, staatlich garantierten Zahlungsmittels – und gleichzeitig ein machtvolles Werkzeug zur Lenkung der Wirtschaft.

Wer glaubt, es handle sich dabei nur um eine digitale Kopie der bisherigen Münzen und Scheine, irrt. Die geplante elektronische Form des Zentralbankgelds ist nicht bloß eine technologische Anpassung an das digitale Zeitalter. Sie ist ein politisches Projekt – mit weitreichenden Folgen für unser Wirtschafts- und Finanzsystem.

Der digitale Euro verspricht auf den ersten Blick Sicherheit, Effizienz und Teilhabe. Bürger sollen direkt mit der Zentralbank verbunden werden, Zahlungen könnten schneller, günstiger und zuverlässiger abgewickelt werden. Gerade in Krisenzeiten – das lehrt uns nicht zuletzt die Erfahrung mit Banken- und Währungsturbulenzen – erscheint ein solches Instrument als stabilisierender Anker.

Doch hinter dieser funktionalen Fassade verbirgt sich ein tiefgreifender Paradigmenwechsel. Die EZB erhielte durch den digitalen Euro ein Maß an Kontrolle über das Geld der Bürger, das bislang undenkbar war. Noch nie hatte eine Zentralbank die Möglichkeit, Geldflüsse im Detail nachzuvollziehen oder gar in Echtzeit zu steuern. Noch nie konnten geldpolitische Maßnahmen so unmittelbar auf das Verhalten von Konsumenten und Investoren einwirken.

Hier liegt der eigentliche Kern des Projekts – und seine Gefahren.

Die Idee, durch gezielte geldpolitische Impulse wie etwa negative Zinsen auf digitale Guthaben den Konsum anzuregen oder Investitionen zu forcieren, mag in der Theorie schlüssig erscheinen. Doch in der Praxis berührt sie Grundfragen der individuellen Freiheit und des Vertrauens in die Institutionen. Was bleibt vom freien Markt, wenn die Zentralbank das Verhalten von Millionen Bürgern mit digitalen Stellschrauben beeinflusst? Wie belastbar ist das Vertrauen in eine Währung, deren Nutzungsbedingungen sich von einem Tag auf den anderen ändern könnten?

Auch das Verhältnis zwischen Bürgern und Banken gerät ins Wanken. Wenn sich Einlagen massenhaft von den Geschäftsbanken zur Zentralbank verschieben, droht dem Kreditwesen die Grundlage zu entgleiten. Die EZB beteuert, der digitale Euro solle das bestehende System nicht destabilisieren – doch mit Absichtserklärungen allein ist es nicht getan. Die ökonomischen Gesetze lassen sich nicht durch technische Feinjustierung aushebeln.

Nicht zu unterschätzen ist zudem die Frage der Datensouveränität. Ein digitaler Euro, der über zentrale Infrastrukturen verwaltet wird, eröffnet zwangsläufig Einsichten in das Zahlungsverhalten der Nutzer. Mag die EZB auch versichern, keine personenbezogenen Daten zu erheben – ein System dieser Größenordnung bleibt angreifbar. Die Balance zwischen Kontrolle und Schutz der Privatsphäre gerät ins Wanken.

Natürlich darf man die Vorteile eines digitalen Zentralbankgeldes nicht ignorieren. In einer globalisierten Welt, in der private Tech-Konzerne zunehmend den Zahlungsverkehr dominieren und andere Währungsräume mit eigenen digitalen Lösungen vorpreschen, muss Europa handlungsfähig bleiben. Der digitale Euro ist auch ein geopolitisches Signal.

Doch es ist die Art und Weise seiner Einführung, die über seinen Erfolg entscheidet – und über die Zukunft des Vertrauens in unsere Institutionen. Eine schleichende Ausweitung geldpolitischer Eingriffsrechte unter dem Deckmantel der Innovation wäre ein Pyrrhussieg. Die digitale Zukunft des Euro darf nicht zur digitalen Fessel für seine Nutzer werden.

Es ist höchste Zeit für eine breite gesellschaftliche Debatte über diese stille Revolution. Denn wer den digitalen Euro nur als technisches Projekt betrachtet, übersieht seine politische Sprengkraft. Das Geld der Zukunft ist nicht nur eine Frage der Technologie – sondern vor allem eine der Freiheit.

Andreas M. B.

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