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Am 25. September 2025 fiel in Paris ein Urteil, das in der politischen Geschichte Frankreichs ohne Beispiel ist. Fünf Jahre Haft, davon drei ohne Bewährung, lautete das Strafmaß für Nicolas Sarkozy – einst Präsident der Republik, nun verurteilt wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Der Fall, in dem es um mutmaßliche illegale Wahlkampfhilfe aus Libyen geht, trifft nicht nur einen Einzelnen. Er berührt das Selbstverständnis des französischen Rechtsstaats und stellt das politische System auf die Probe. Emmanuel Macron, der amtierende Präsident, hat sich bemüht, nicht Partei zu ergreifen – und sendet damit dennoch ein klares Signal.

Stiller Beistand für die Justiz

In den Stunden nach der Urteilsverkündung schlugen die Wellen hoch. Politiker aus dem konservativen Lager sprachen von einer „Justiz des politischen Gegners“, von „Demütigung“ und „Inszenierung“. Im Netz kursierten offene Drohungen gegen die Vorsitzende Richterin und ihre Kammer – darunter Aufrufe zur Gewalt.

Macron reagierte nicht mit Pathos, sondern mit einem Wort: „Inakzeptabel.“ Es war ein Moment, in dem der Präsident ungewöhnlich deutlich wurde – nicht in der Bewertung des Urteils, sondern für den Schutz der Institution, die es gefällt hatte. Es sei legitim, Entscheidungen der Justiz zu kritisieren, aber inakzeptabel, Richterinnen und Richter zu bedrohen oder zu beleidigen.

Ex-Premierminister Gabriel Attal und der ehemalige Justizminister Éric Dupond-Moretti – einst selbst Strafverteidiger – schlossen sich dieser Linie an. Der Élysée bemüht sich, Eskalation zu vermeiden und zugleich eine rote Linie zu ziehen: Kritik, ja. Einschüchterung, nein.

Zurückhaltung als Prinzip

Auffällig blieb, was Macron nicht sagte. Kein Wort zum Urteil selbst. Keine politische Deutung. Kein moralischer Subtext. Stattdessen Berufung auf das republikanische Prinzip der Gewaltenteilung – der Präsident als Garant institutioneller Stabilität, nicht als Kommentator richterlicher Entscheidungen.

Diese Haltung ist konsistent mit Macrons Präsidentschaft, die sich stets mehr als Architektenrolle denn als Parteiführung verstand. Doch gerade diese Form der Zurückhaltung zog Kritik auf sich. Der französische Richterverband warf dem Präsidenten vor, zu spät reagiert zu haben. In den ersten Stunden nach der Verurteilung habe die Justiz im politischen Kreuzfeuer gestanden – ohne Rückendeckung des höchsten Amtsträgers im Staat.

Keine Schonung für Vorgänger

Der Élysée ließ ebenfalls erkennen, dass nicht mit Sonderbehandlungen für Sarkozy zu rechnen ist. Forderungen nach einem Gnadenerlass oder politischem Eingreifen – insbesondere aus Reihen der Républicains – blieben unbeantwortet. Dass Macron seinen Amtsvorgänger in der Vergangenheit trotz früherer Verurteilung mit protokollarischen Ehren behandelte – etwa mit dem Verbleib in der Ehrenlegion –, ändere nichts an der Haltung in der aktuellen Causa. Die Justiz, so das Signal, urteilt unabhängig – auch über Präsidenten.

Diese Konsequenz ist bemerkenswert in einem politischen System, das über Jahrzehnte informelle Immunitäten kannte. Zwar genießt ein amtierender Präsident durch Artikel 67 der Verfassung weitreichenden Schutz, doch die politische Kultur Frankreichs baute lange auf Diskretion und Rücksichtnahme auch gegenüber früheren Amtsinhabern. Dass Sarkozy nun – wie es der Schuldspruch nahelegt – eine Freiheitsstrafe antreten muss, bricht mit dieser Tradition.

Die Justiz als politischer Akteur?

Das Urteil gegen Sarkozy hat über die juristische Dimension hinaus eine politische Tiefenwirkung entfaltet. Es rührt an die Frage, welche Rolle die Justiz im politischen Gefüge Frankreichs spielt – und spielen darf. Der republikanische Rechtsstaat basiert auf einer strikten Trennung der Gewalten, doch in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft wird selbst diese Trennung zum Streitobjekt.

Während konservative Stimmen das Urteil als Resultat eines politisierten Justizapparats deuten, fordern linke Intellektuelle eine noch stärkere strafrechtliche Aufarbeitung von Amtsmissbrauch und Korruption im politischen Umfeld. Zwischen diesen Lagern versucht Macron, den Rahmen zu wahren – als Garant der Institutionen, nicht als Kommentator ihrer Entscheidungen.

Doch dieser Versuch ist risikobehaftet. Wer sich der Deutung enthält, läuft Gefahr, sowohl als zu schwach wie auch als zu berechnend wahrgenommen zu werden. In einer Gesellschaft, die klare Stellungnahmen fordert, wird Neutralität rasch als Positionsverweigerung gelesen.

Die institutionelle Frage

Frankreichs politische Kultur durchläuft seit Jahren einen Transformationsprozess. Vertrauen in Institutionen ist erodiert, Protestbewegungen wie die der „Gilets Jaunes“ haben gezeigt, wie tief die Gräben zwischen Regierung, Justiz und Bürgergesellschaft verlaufen. In diesem Kontext ist Macrons Verhalten als Versuch zu werten, eine republikanische Grundordnung zu stabilisieren, die nicht auf populären Reflexen, sondern auf Prinzipientreue basiert.

Doch Stabilität allein genügt nicht. Macron muss auch vermitteln, warum es richtig ist, dass ein ehemaliger Präsident sich vor Gericht verantworten muss – und warum das kein Angriff auf ein politisches Lager, sondern ein Zeichen funktionierender Demokratie ist.

Die Botschaft ist klar, aber schwer zu vermitteln: Niemand steht über dem Gesetz – auch nicht ein früherer Präsident. Dass diese Botschaft nun von der Justiz selbst durchgesetzt wird, ist ein Zeichen institutioneller Reife. Ob Frankreichs politische Kultur diese Reife mitträgt, bleibt indes offen.

Autor: Andreas M. Brucker

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