Tag & Nacht




Er wirkt harmlos. Fast niedlich. Mit seiner dunklen „Zorro-Maske“ und seinen geschickten Pfoten erinnert er eher an einen Comic-Helden als an einen tierischen Eindringling. Doch der Schein trügt: Der nordamerikanische Waschbär (Procyon lotor), einst als Exot nach Europa gekommen, hat sich still und stetig zum Problemfall entwickelt – auch in Frankreich.

Und die Probleme nehmen zu.

Vom Tierpark in die Freiheit – und weiter

Ursprünglich stammt der Waschbär aus Nordamerika. Doch seit dem 20. Jahrhundert ist er auch in Europa heimisch – zuerst in Deutschland, dann in der Schweiz, Belgien, inzwischen auch in mehreren Regionen Frankreichs. Die Population wächst. In der Gironde wurden allein zwischen Juli 2024 und Juni 2025 rund 275 Tiere gefangen. Das Tier, das einst aus Pelzfarmen oder aus Zoos entkam, lebt heute als freier, selbstständiger Siedler unter uns.

Frankreich hat reagiert: Seit 2016 gilt der Waschbär offiziell als „nuisible“ – als schädlich. Damit fällt er unter die Liste der sogenannten ESOD-Arten: Tiere, die erhebliche Schäden verursachen können. Das erlaubt Behörden, gegen ihn vorzugehen. Und doch bleibt seine Ausbreitung schwer zu stoppen.

Zerstörer mit Samtpfoten

Waschbären sind Allesfresser, gute Kletterer – und erstaunlich anpassungsfähig. Besonders urbane Räume mit ihren Abfällen, Gärten, Dächern und verwinkelten Ecken kommen ihnen gelegen. Ein gefundenes Fressen. Und nicht nur das.

Denn wo Waschbären auftauchen, da hinterlassen sie Spuren.

Sie erklimmen Fassaden über Regenrinnen, schlüpfen durch lockere Ziegel oder offene Lüftungsschächte und nisten sich auf Dachböden ein. Ihre scharfen Krallen und Zähne machen vor Holz, Dämmstoffen oder dünnen Blechen nicht halt. Kabel werden durchtrennt, Lüftungsschächte beschädigt, Dämmmaterialien zu Nestern umfunktioniert.

Und dann sind da noch die Hinterlassenschaften: Kot, Urin, Parasiten. Besonders gefürchtet: der Spulwurm Baylisascaris procyonis, dessen Larven – in seltenen Fällen – auch den Menschen befallen können. Daneben drohen Krankheiten wie Leptospirose, Tollwut oder andere Infektionen – besonders gefährlich für Kinder, Hunde und Katzen.

Hohe Kosten – und offene Fragen

Ein Waschbär im Haus ist kein kleiner Vorfall. Neben dem hygienischen Risiko sind es vor allem die Reparaturkosten, die Eigentümer schockieren: Dämmung raus, Elektrik prüfen, Desinfektion, Schädlingsbekämpfung. Mitunter ist das Haus wochenlang nicht nutzbar.

Die Schäden treffen nicht nur private Haushalte – auch städtische Grünflächen, Tierparks und kommunale Einrichtungen melden vermehrt Probleme. Immer öfter stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Ein Räuber ohne Gegner

In der französischen Natur hat der Waschbär keine natürlichen Feinde. Keine Luchse, keine Kojoten, keine größeren Greifvögel, die ihm gefährlich werden könnten. Hinzu kommt seine hohe Fortpflanzungsrate: ein Wurf, mehrere Jungtiere – jedes Jahr.

Seine Anpassungsfähigkeit tut ihr Übriges. Mülltonnen, Hühnerställe, Gartenhäuschen – alles potenzielle Nahrungsquellen oder Unterschlupfe. Und das Tier lernt schnell: Es öffnet Riegel, dreht Deckel ab, meidet Gefahren, wenn es sie einmal erkannt hat.

Was also tun?

Frankreich setzt auf eine Kombination aus Prävention, Regulierung und Aufklärung:

1. Gebäude sichern: Dachrinnen absichern, Schlupflöcher abdichten, Lüftungsgitter aus Metall anbringen – oft reicht ein einzelnes Schlupfloch, um den Waschbär einzuladen.

2. Nahrung entziehen: Mülltonnen schließen, Tierfutter für Haustiere nur drinnen auslegen, Kompost abdecken.

3. Fallen aufstellen: Wo erlaubt, arbeiten Behörden und beauftragte Firmen mit Lebendfallen. In der Gironde wurden dafür sogar spezielle Techniken entwickelt.

4. Nachsorge: Wurden Tiere entfernt, ist ein gründlicher Reinigungs- und Sanierungsprozess nötig – sonst locken Geruchsspuren neue Gäste an.

5. Überwachung: Kameras und Bewegungsmelder helfen, neue Besuche frühzeitig zu erkennen.

Zwischen Faszination und Frust

Waschbären polarisieren. Viele empfinden sie als sympathisch – fast menschlich in ihrer Art. Doch wer einmal einen Dachboden nach einem Waschbär-Besuch gesehen hat, vergisst schnell die Romantik.

Die Gesellschaft steht vor einem moralischen Dilemma: Einerseits der Wunsch nach Koexistenz mit Wildtieren. Andererseits der Schutz von Gesundheit, Eigentum und Biodiversität. Denn der Waschbär ist auch ein Problem für die Natur – frisst Eier, Nester, Jungtiere. Verdrängt heimische Arten. Zerstört fragile Gleichgewichte.

Die Antwort liegt wohl nicht im Kampf gegen das Tier – sondern in einem bewussten, konsequenten Umgang mit seiner Anwesenheit. Zwischen Mensch und Waschbär beginnt ein neues Kapitel. Es liegt an uns, wie es weitergeht.

Autor: Danil Ivers

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!