Die jüngste National Security Strategy (NSS) der Trump-Administration markiert einen fundamentalen Bruch mit der bisherigen US-Außenpolitik gegenüber Europa. Erstmals steht nicht Russland oder China im Zentrum der Bedrohungsanalyse, sondern Europa. In Brüssel, Berlin und Paris wird das Dokument als Angriff auf den Kern des europäischen Projekts gelesen: Liberale Demokratien, multilaterale Institutionen und ein gemeinsamer sicherheitspolitischer Rahmen stehen auf dem Prüfstand. Was bislang implizit mitschwang, ist nun explizite Linie: Der transatlantische Schulterschluss verliert für Washington an Relevanz.
Ein neuer Ton aus Washington
Die NSS 2025 zeichnet ein Bild Europas als Kontinent in der Krise: „zivilisatorischer Verfall“ durch Migration, demographischer Niedergang, gefährdete nationale Identitäten und eine angeblich inkompetente politische Elite. Der Text lobt offen den Aufstieg „patriotischer“ europäischer Parteien, die sich gegen das europäische Integrationsprojekt stellen. Tatsächlich liest sich der Abschnitt zu Europa wie ein ideologisches Manifest der europäischen Rechten – kein Wunder, dass Frankreichs früherer UN-Botschafter Gérard Araud ihn als „Pamphlet der extremen Rechten“ bezeichnete.
Hinzu kommt die Anforderung, dass Europa bis 2027 wesentliche Teile der NATO-Verteidigungsfähigkeiten übernehmen solle – von Aufklärung bis Raketenabwehr. Dieser Zeitplan wirkt für viele Hauptstädte wie ein verkappter Rückzug der USA aus ihren sicherheitspolitischen Verpflichtungen. Der Politikwissenschaftler Henry Farrell spricht von einem „Weckruf“ für Europa: „Wenn Amerika seine Verbündeten als Gegner behandelt, werden diese nach Alternativen suchen.“
Revisionistischer Transatlantizismus
Was sich hier andeutet, ist eine strategische und ideologische Neuausrichtung: Die USA ziehen sich nicht nur militärisch zurück, sondern wollen aktiv Einfluss auf die politische Architektur Europas nehmen. Der von den Brookings-Forscherinnen Tara Varma und Sophia Besch geprägte Begriff des „revisionistischen Transatlantizismus“ trifft den Kern. Gemeint ist eine transatlantische Achse zwischen einem nationalistischen Washington und europäischen Rechtsparteien, die gemeinsame liberale Werte in Frage stellen und stattdessen ethnonationalistische Ordnungsvorstellungen propagieren.
Trumps politische Annäherung an Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban und seine Unterstützung für Konzepte wie „Remigration“ passen ins Bild. Gleichzeitig richtet sich die Kritik der NSS gegen „instabile Minderheitsregierungen“ in Europa – ein direkter Seitenhieb auf liberale Zentristen wie Emmanuel Macron oder Friedrich Merz.
Sicherheitsarchitektur unter Druck
Faktisch droht Europa damit ein geopolitisches Vakuum: Ohne amerikanische Sicherheitsgarantien und mit wachsendem internen Druck durch nationalistische Bewegungen geraten sowohl die NATO als auch die EU unter Legitimationsdruck. Die Forderung nach europäischer Souveränität in Verteidigungsfragen klingt in diesem Kontext weniger wie ein partnerschaftlicher Appell denn als Ultimatum.
Zugleich zeigt sich, dass Russland diese Dynamik für sich zu nutzen weiß: Putins Sprecher Dmitri Peskow lobte öffentlich die neue US-Strategie als „mit unserer Sichtweise weitgehend übereinstimmend“. Eine geopolitische Allianz zwischen revisionistischen Kräften in Washington, Moskau und Teilen Europas wäre für die liberale Weltordnung ein tektonischer Bruch.
Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz warnten in einem offenbar durchgesickerten Gesprächsprotokoll vor einem „schnellen politischen Deal“ zwischen Trump und Russland – auf Kosten der Ukraine. In einer Rede in Peking mahnte Macron: „Nur in der Einheit von Europa und den USA liegt die Kraft, derartige Konflikte dauerhaft zu lösen.“
Trumps Strategiepapier könnte sich als doppelter Kipppunkt erweisen: Für die amerikanische Außenpolitik und für Europas Selbstverständnis. Es zwingt die Europäer, ihre Abhängigkeit von Washington zu überdenken – sicherheitspolitisch, technologisch und wirtschaftlich. Die kommenden Monate werden zeigen, ob es Europa gelingt, diese Herausforderung zu einer strategischen Erneuerung zu nutzen oder ob die innere Zersplitterung weiter voranschreitet.
MEHR TOP-NACHRICHTEN
Chinas Handelsüberschuss übersteigt erstmals eine Billion US-Dollar
Trotz der von Präsident Trump verhängten Zölle ist es nicht gelungen, die globale Exportwelle aus China aufzuhalten. Die chinesische Zollbehörde gab heute bekannt, dass der kumulierte Handelsüberschuss des Landes bis Ende November 1,08 Billionen US-Dollar erreicht hat.
Zwar sind Chinas Exporte in die USA infolge der Zölle um ein Fünftel zurückgegangen, doch hat Peking im Gegenzug auch seine Importe aus den Vereinigten Staaten – etwa von Sojabohnen und anderen Produkten – stark reduziert. Das Verhältnis bleibt unausgeglichen: China verkauft weiterhin dreimal so viel in die USA, wie es von dort bezieht. Zudem hat China seine Exporte in andere Weltregionen erheblich ausgeweitet – insbesondere nach Südostasien, Afrika, Europa und Lateinamerika.
Rückgang in Trumps Zustimmungswerten
Eine Analyse von Umfragedaten der New York Times zeigt: Die Zustimmungswerte von Präsident Trump sind in den vergangenen Wochen leicht, aber messbar gesunken – nach Monaten weitgehender Stabilität.
WEITERE NACHRICHTEN
– Laut US-Beamten hat die Trump-Regierung eine Chartermaschine voller Iraner in den Iran abgeschoben – erst zum zweiten Mal in der Geschichte der USA.
– In Benin ist es gestern zu einem Putschversuch durch Teile des Militärs gekommen, was das westafrikanische Land in einen Zustand der Unsicherheit gestürzt hat.
– Mindestens 25 Menschen starben bei einem verheerenden Brand in einem Nachtclub im indischen Bundesstaat Goa.
– Präsident Wladimir Putin hat das russische Militär angewiesen, sich auf Kämpfe unter winterlichen Bedingungen vorzubereiten – ein Signal, dass er trotz Gesprächen mit US-Vertretern nicht von seinen Forderungen abrückt.
– Netflix plant die Übernahme von Warner Bros. Discovery für 82,7 Milliarden US-Dollar – ein Geschäft, das die Filmindustrie und die gesamte Medienlandschaft grundlegend verändern könnte.
– Saudi-Arabien hat stillschweigend begonnen, Alkohol an einige ausländische Einwohner zu verkaufen.
– Katy Perry und Justin Trudeau haben gemeinsam Japan erkundet – und ihre Verbindung mit gemeinsamen Fotos auf Instagram quasi offiziell gemacht.
Von Andreas Brucker
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