Es gibt Skandale, die entrüsten. Und es gibt Skandale, die einem den Atem rauben – weil sie so dreist, so verantwortungslos, so beschämend sind, dass man sich fragt, wie tief eine Regierung noch sinken kann. Der Signal-Skandal in Washington gehört zur zweiten Kategorie. Was dort geschehen ist, entlarvt nicht nur die toxische Mischung aus Inkompetenz und Arroganz in Donald Trumps politischem Umfeld. Es zeigt auch, wie bereitwillig Wahrheit geopfert wird, wenn Macht, Eitelkeit und das Spiel mit dem Feuer wichtiger erscheinen als Verantwortung.
Dass Mitglieder einer US-Regierung – und nicht irgendwelche, sondern hochrangige Figuren wie der Verteidigungsminister und der Sicherheitsberater – über eine Chatgruppe auf einer Messenger-App Kriegsszenarien besprechen, ist an sich schon ein Skandal. Dass sie dabei versehentlich einem Journalisten Zugang zu ihren Gesprächen geben, ist grotesk. Aber dass sie danach alles kleinreden, verdrehen, lügen und sich in der gewohnten Opferpose suhlen – das ist der eigentliche Tiefpunkt.
Trump spricht von einer Kampagne gegen seine Leute. Er wittert „Hexenjagd“, wie immer, wenn er oder seine Umgebung zur Rechenschaft gezogen werden soll. Aber das hier ist keine Hexenjagd. Es ist die überfällige Konfrontation mit der Wahrheit. Mit der Wahrheit darüber, wie leichtfertig diese Regierung mit der Sicherheit von Soldaten, mit den Interessen des Landes und letztlich mit dem Frieden in der Welt umgeht.
Denn wer Pläne für Angriffe in einem Gruppenchat diskutiert – und sich dabei auch noch gegenseitig mit Emojis und markigen Sprüchen aufputscht –, der spielt mit dem Leben von Menschen. Der missbraucht seine Macht. Und der hat offenbar nie verstanden, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen. Es ist nicht nur ein technischer Fehler. Es ist ein moralischer Offenbarungseid.
Noch schlimmer ist nur das, was danach kam. Kein Eingeständnis. Kein Rücktritt. Keine Scham. Stattdessen: Trotz, Lügen, Ablenkung. Der Verteidigungsminister will von nichts gewusst haben, der Präsident ruft zur Jagd auf die Presse auf, der Sicherheitsberater gibt sich als Opfer von Indiskretionen. Man kennt das längst. Und genau das ist das Erschreckende: Wir haben uns fast daran gewöhnt, dass Lüge und Wahrheit in Trumps Welt nur Varianten desselben Spiels sind – je nachdem, wer gerade den Vorteil davon hat.
Aber dieser Skandal ist anders. Er ist nicht nur ein weiteres Kapitel in einer Chronik des politischen Zynismus. Er ist ein Alarmsignal – nicht von einer App, sondern von der Demokratie selbst. Denn wer in der Regierung der mächtigsten Nation der Welt so handelt, offenbart, wie tief die Institutionen bereits durch die Trump-Ära beschädigt worden sind.
Das Vertrauen ist zerbrochen. Und es wird nicht durch Pressekonferenzen, nicht durch neue Sicherheitsprotokolle, nicht durch billige Ausreden repariert werden können. Nur durch Rücktritte, Aufarbeitung und eine klare Grenze zwischen politischer Verantwortung und persönlicher Eitelkeit.
Was bleibt, ist die Wut. Wut darüber, wie achtlos Macht verspielt wurde. Wut darüber, wie sehr Menschen in hohen Ämtern den Ernst ihrer Aufgabe vergessen haben. Und Wut darüber, dass sie damit vielleicht sogar durchkommen. Noch.
Ein Kommentar von Andreas Brucker
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!