Tag & Nacht




Der 28. Mai: kein gewöhnliches Datum. Für viele nur ein weiteres Kästchen im Kalender, doch historisch betrachtet ein Tag, an dem Menschen Geschichte schrieben – mit Mut, Irrsinn, Willenskraft oder politischem Kalkül. Was also macht diesen Tag so besonders?

Einmal tief durchatmen – es geht los.

Im Jahr 1871 endete in Frankreich eines der dramatischsten Kapitel des 19. Jahrhunderts: die Pariser Kommune wurde niedergeschlagen. Wochenlang hatten sich die Kommunarden gegen die Regierungstruppen verteidigt. Sie wollten eine gerechtere Gesellschaft, selbstverwaltet, frei von zentraler Kontrolle – ein sozialistisches Experiment, das viel zu kurz lebte. Am 28. Mai war endgültig Schluss. Mit brutalem Nachdruck schlug das Militär den Aufstand nieder. Tausende Menschen wurden getötet oder verhaftet. Der Traum der Kommune war geplatzt.

Was bleibt? Eine tiefe Narbe im kollektiven Gedächtnis Frankreichs – und eine Inspiration für linke Bewegungen weltweit. Noch heute wird die Kommune als ein frühes Beispiel für basisdemokratische Strukturen verehrt. Und ehrlich, wer träumt nicht manchmal von mehr Mitbestimmung?

Fast ein halbes Jahrhundert später – 1918 – passierte etwas, das geopolitisch betrachtet riesige Wellen schlug. An diesem 28. Mai erklärten sich Armenien und Aserbaidschan unabhängig. Inmitten der Wirren des zusammenbrechenden Zarenreiches und des Ersten Weltkriegs suchten die beiden kaukasischen Völker ihren eigenen Weg in die Zukunft. Die neugeborenen Republiken standen jedoch von Anfang an unter schwerem Druck – nicht zuletzt wegen gegenseitiger Gebietsansprüche.

Besonders Armenien musste sich nach dem Völkermord an seiner Bevölkerung erst wieder aufrichten. Ein politisches und menschliches Desaster, das bis heute nachwirkt. Die Gräben von damals sind in vielerlei Hinsicht nie ganz zugeschüttet worden – denken wir nur an die jüngsten Auseinandersetzungen in Bergkarabach.

Ein kleiner Zeitsprung, diesmal nach Großbritannien, 1961. Ein britischer Anwalt, Peter Benenson, liest von zwei portugiesischen Studenten, die nur deshalb verhaftet wurden, weil sie in einem Café über Freiheit gesprochen hatten. Er ist empört, schreibt einen Artikel – und entfacht damit ein weltweites Feuer. Am 28. Mai erscheint sein Text in einer Londoner Zeitung. Der Funke zündet. Aus diesem Funken wird Amnesty International.

Keine große Geste, kein riesiger Apparat – nur Worte und ein starker Wille. Und doch ein Wendepunkt für den globalen Kampf um Menschenrechte. Heute zählt Amnesty Millionen Mitglieder, berichtet aus den dunkelsten Ecken der Welt und macht das sichtbar, was andere verstecken wollen. Alles begann mit einem Artikel. Wie groß die Wirkung eines einzigen Gedankens sein kann!

Wenden wir den Blick nach Deutschland: 1987. Ein junger Mann namens Mathias Rust hebt in Hamburg mit einer kleinen Cessna ab – Ziel: Moskau. Nicht, um Urlaub zu machen oder Geschäfte zu erledigen. Nein, der damals 18-Jährige will ein Zeichen für Frieden setzen. Er durchquert den sowjetischen Luftraum, fliegt unbehelligt bis zum Roten Platz und landet. Einfach so.

Die Sowjetunion? Blamiert bis auf die Knochen. Der Zwischenfall kostet mehreren hochrangigen Militärs den Job – darunter dem Verteidigungsminister. Und was macht Rust? Der kommt vor Gericht, wird verurteilt, aber nach einem Jahr wieder freigelassen. Manche hielten ihn für verrückt, andere für mutig. Die Welt sprach über nichts anderes. Und mal ehrlich – wer wäre damals freiwillig in einem klapprigen Flieger quer über die UdSSR gebrettert?

Nicht ganz so spektakulär, aber für viele Fans unvergesslich: der 28. Mai 1997. Borussia Dortmund gewinnt zum ersten Mal die Champions League. In München schlägt der BVB das italienische Star-Ensemble von Juventus Turin mit 3:1. Das Ruhrgebiet im Ausnahmezustand, Tränen, Fahnen, Autokorsos. Ein Moment, der Fußballgeschichte schrieb. Für Dortmund, für Deutschland – und für den Beweis, dass es nicht immer nur die Großen sind, die triumphieren.

Ein kleiner Schlenker über den Atlantik. In den USA unterzeichnet Präsident Andrew Jackson am 28. Mai 1830 den „Indian Removal Act“. Ein zynisches Gesetz, das die Zwangsumsiedlung Zehntausender indigener Menschen einleitet. Die Folge: Leid, Tod, ein gebrochener Vertrag nach dem anderen. Der sogenannte „Trail of Tears“ ist eine bittere Erinnerung daran, wie Macht gegen Menschlichkeit siegte. Und doch – auch hier wächst heute Widerstand, Stolz und das Bestreben nach kultureller Rückeroberung.

Und noch ein letztes Fundstück aus dem Jahr 1959: Zwei Affen, Able und Miss Baker, kehren wohlbehalten von einem Weltraumflug zur Erde zurück. Ein kleiner Schritt für zwei Tiere – ein großer für die Raumfahrt. Ihr Überleben war Beweis genug, dass biologische Organismen Raum und Schwerelosigkeit aushalten können. Die Straße zum Mond? War damit ein bisschen weniger Science-Fiction.

So verschieden all diese Ereignisse sind – sie eint eines: Sie erzählen vom Wunsch nach Freiheit, vom Streben nach Gerechtigkeit und davon, dass der Mensch immer wieder Grenzen überschreitet – mal mit Mut, mal mit Gewalt, mal mit einem Lächeln oder einem Motorengeräusch in 10.000 Metern Höhe.

Ob Revolution, Fußball oder ein einsamer Flug über Moskau – wer hätte gedacht, dass der 28. Mai so viel zu erzählen hat?

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