Tag & Nacht

Der Wolf ist zurück – und sorgt für Aufregung in der Normandie. In der malerischen Bucht des Mont-Saint-Michel, einem Ort, der eher für seine mittelalterliche Abtei als für wilde Raubtiere bekannt ist, wurde ein einzelner grauer Wolf gesichtet. Der erste bestätigte Nachweis dieser Art in der Region seit Jahrzehnten.

Aber während Naturschützer diese Rückkehr als Erfolg für die Artenvielfalt sehen, erleben Schafzüchter die Schattenseite. Seit Jahresbeginn hat der Wolf bereits mehrere Herden angegriffen – mit teils tragischen Folgen. Manche Tiere wurden direkt getötet, andere verletzt, und einige sind in Panik geflüchtet, nur um dann in der Kälte zu verenden.

Ein Drama, das zwei Seiten hat: Angst und Faszination.


Ein Wolf in der Normandie – Wie ist das möglich?

Die Normandie gehört nicht zu den klassischen Wolfsgebieten in Frankreich. Bis vor wenigen Jahren war der nächste bekannte Wolfbestand in den Alpen oder den Vogesen zu finden. Doch Wölfe sind ausdauernde Wanderer. Junge, allein umherstreifende Tiere legen oft Hunderte Kilometer auf der Suche nach neuem Revier zurück.

Genau das scheint hier passiert zu sein. Laut der französischen Behörde für Biodiversität (OFB) handelt es sich um einen einzelnen grauen Wolf – vermutlich ein Jungtier auf Wanderschaft. Die Präfektur der Manche betont, dass das Tier nur „auf der Durchreise“ gewesen sei.

Aber ist das wirklich so? Oder könnte der Wolf bleiben und sich sogar eine neue Population bilden?


Der Wolf und die Weidetiere – ein ewiger Konflikt

Die Rückkehr des Wolfs sorgt für gespaltene Meinungen. Besonders betroffen sind die Schafzüchter, die um ihre Tiere fürchten. Und die Angst ist nicht unbegründet: Ein einziger Angriff kann eine ganze Herde aufschrecken. Die Folge? Getötete und verletzte Schafe – und manchmal auch solche, die vor lauter Panik in Schluchten oder Flüsse stürzen.

Der betroffene Landwirt in der Normandie ist wütend und traurig zugleich. „Ich bin am Boden zerstört“, sagt er, „aber auch irgendwie fasziniert – ein Wolf, hier bei uns! Das hätte ich nie für möglich gehalten.“

Solche Gefühle sind nicht ungewöhnlich. Der Wolf ist ein Symboltier, das tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Er steht für Wildnis und Freiheit, aber auch für Gefahr und Zerstörung.

Die Frage bleibt: Wie können Landwirtschaft und Raubtiere nebeneinander existieren?


Schutzmaßnahmen: Was können Landwirte tun?

In Frankreich gibt es Förderprogramme für Schutzmaßnahmen gegen Wölfe. Dazu gehören Herdenschutzhunde, stabile Nachtpferche oder Elektrozäune. Doch diese Maßnahmen sind nicht überall einfach umzusetzen – vor allem in Regionen, in denen es bislang keine Wölfe gab.

In den Alpen und Pyrenäen gibt es bereits Erfahrungswerte. Dort helfen große, wehrhafte Hunde wie der Patou, ein Pyrenäen-Berghund, die Herden zu schützen. Doch in der Normandie? Dort sind Weidezäune oft niedrig, und Schafe weiden auf offenen Flächen – ein Paradies für einen hungrigen Wolf.

Die Politik steht also vor einem Dilemma: Soll der Wolf geschützt oder reguliert werden?


Wölfe in Frankreich: Eine Erfolgsgeschichte der Natur

Der graue Wolf war in Frankreich lange Zeit verschwunden. Im 19. Jahrhundert wurde er fast ausgerottet, weil er als Bedrohung für Vieh und Menschen galt. Doch seit den 1990er Jahren kehrt er langsam zurück – aus den italienischen Alpen kommend, breitete er sich zunächst in Südostfrankreich aus.

Heute gibt es in Frankreich wieder mehrere Hundert Wölfe, vor allem in den Alpen, dem Zentralmassiv und den Vogesen. Einzelne Tiere wurden sogar in der Bretagne und nun auch in der Normandie gesichtet.

Für den Naturschutz ist das ein großer Erfolg. Denn der Wolf spielt eine wichtige Rolle im Ökosystem. Er reguliert Wildbestände und trägt dazu bei, dass sich Wälder und Wiesen in einem natürlichen Gleichgewicht halten.

Aber was bedeutet das für Regionen, die bisher wolfsfrei waren?


Akzeptanz und Konfliktlösung – Ist ein Kompromiss möglich?

Die Diskussion um den Wolf ist oft emotional. Auf der einen Seite stehen Naturschützer, die seine Rückkehr als ökologischen Gewinn feiern. Auf der anderen Seite Bauern, die um ihre Existenz kämpfen.

In manchen Ländern gibt es Lösungsmodelle, die beide Seiten berücksichtigen. In Deutschland etwa gibt es Entschädigungszahlungen für gerissene Tiere und finanzielle Unterstützung für Schutzmaßnahmen. Schweden verfolgt ein System von „Schutzjagden“, bei denen gezielt einzelne Problemwölfe entnommen werden.

Und Frankreich? Hier steht die Debatte noch am Anfang.

Es wird nicht der letzte Wolf sein, der in der Normandie auftaucht. Die Frage ist nur: Sind wir bereit, mit ihm zu leben?

Von Andreas M. B.


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