Tag & Nacht




Toulouse, die rosarote Stadt, ist für ihre warme Farbgebung, ihr südliches Flair und ihre historischen Gassen berühmt. Doch genau dort, im verwinkelten Herzen der Altstadt, bröckelt der Glanz – buchstäblich. Mehrfach in jüngster Zeit mussten Häuser evakuiert werden, weil sie kurz davor standen, in sich zusammenzufallen. Der jüngste Fall in der Rue des Filatiers hat erneut die Alarmglocken schrillen lassen.

Am 9. April 2025 war es so weit: Ein dreigeschossiges Gebäude mit acht Wohnungen und einem Restaurant im Erdgeschoss wurde kurzfristig geräumt. Ohne Vorwarnung standen die Bewohner auf der Straße. Unter ihnen Arthur, 25 Jahre, Musiker, der dort seit sechs Jahren lebt. „Ich weiß nicht, wann ich wieder in meine Wohnung kann“, sagte er sichtlich mitgenommen.

Noch dramatischer war die Lage für Jérémy. Er lebt und arbeitet im Gebäude – im Restaurant „Le Carbet d’Oc“, das nun ebenfalls geschlossen wurde. Seinen Hund musste er zunächst zurücklassen. Glücklicherweise konnte das Tier später gerettet werden. Doch für Jérémy bleibt eine doppelte Leerstelle – Wohnung weg, Arbeitsplatz weg.

Der Auslöser? Ein Lichtschacht.

Klingt harmlos, war es aber nicht. Im Innenhof begannen Wartungsarbeiten – ein Architekt sollte den Lichtschacht verschönern. Doch was er entdeckte, ließ ihn sofort handeln: akute Instabilität. Das Gebäude war in einem Zustand, der keine Verzögerung mehr erlaubte. Claire Nison, die zuständige Stadträtin für Gebäudesicherheit, erklärte, man habe „sofort evakuiert – Sicherheit geht vor“.

Das war kein Einzelfall.

In unmittelbarer Nähe stehen seit 2021 zwei weitere Gebäude unter behördlicher Beobachtung. Sie wurden damals abgestützt, nachdem sie als einsturzgefährdet eingestuft worden waren. Die Eigentümer bemühen sich seither um eine Genehmigung für Renovierungsarbeiten. Im September 2024 reichten sie entsprechende Pläne ein – doch bis heute herrscht Baustellenruhe.

Was läuft da schief?

Toulouse ist keine Ausnahme. Viele historische Stadtzentren in Frankreich stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Jahrhundertealte Bausubstanz, oft marode, manchmal liebevoll, manchmal fahrlässig renoviert. Dazu kommen Eigentümer, die sich den Erhalt schlichtweg nicht leisten können – oder schlicht nicht wollen. Und eine Verwaltung, die zwischen Denkmalschutz, Sicherheitsvorgaben und knappen Budgets balanciert.

In Toulouse ist diese Gratwanderung besonders sichtbar.

Die Stadt ist stolz auf ihr historisches Erbe. Doch unter dem Putz alter Gemäuer schlummern oft gefährliche Risse. Einige davon sind kaum sichtbar, andere offen – und manche werden erst entdeckt, wenn es zu spät ist.

Wie geht es weiter?

Claire Nison fordert nun klarere Regeln und vor allem: mehr Verantwortung seitens der Eigentümer. Denn die Stadt könne nicht jedes marode Gebäude retten. Es braucht Eigeninitiative – und wohl auch finanzielle Anreize. Eine Art Rettungsschirm für gefährdete Häuser? Klingt utopisch – wäre aber vielleicht nötig.

Denn die Wahrheit ist: Der Erhalt der Altstadt kostet.

Nicht nur Geld, sondern auch Zeit, Kontrolle, und ein Bewusstsein für Verantwortung. Historischer Charme ist kein Selbstläufer. Er muss gepflegt, gewartet – und manchmal auch gerettet werden.

Und die Bewohner? Die stehen erstmal draußen.

Mit Koffern, Unsicherheit – und der Frage, wo sie die nächste Nacht verbringen. Vielleicht hilft ein Freund aus, vielleicht ein Hotel. Doch langfristig brauchen sie mehr als das: ein Zuhause, das nicht zur Gefahr wird.

Historie darf nicht zur Hypothek werden.

Vielleicht ist es an der Zeit, neue Wege zu gehen. Digitalisierung der Gebäudedaten, mehr Unterstützung für Eigentümer mit wenig Rücklagen, verpflichtende regelmäßige Inspektionen. Denn eines ist sicher: Toulouse verdient es, schön und sicher zu bleiben – für Bewohner wie Besucher.

Von Andreas M. B.

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