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Die europäische Sicherheit steht erneut auf dem Prüfstand. In einer Phase zunehmender geopolitischer Spannungen rückt die Frage nach der zukünftigen Strategie des Westens im Ukraine-Krieg in den Mittelpunkt. Die jüngste Initiative europäischer Spitzenpolitiker signalisiert eine klare Absicht: Frieden wird nicht durch Nachgiebigkeit, sondern durch entschlossene Haltung gegenüber Moskau erreicht.

Das informelle Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs in Paris zeigt, dass die Europäische Union zunehmend in der Lage ist, geschlossen zu agieren. Die Diskussionen über Sicherheitsgarantien für die Ukraine und die Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit unterstreichen die Absicht, nicht nur passiver Zuschauer der diplomatischen Entwicklungen zu sein. Besonders in Anbetracht der laufenden direkten Gespräche zwischen den USA und Russland wird deutlich, dass Europa eine eigene Stimme benötigt, um in einem zukünftigen Friedensprozess nicht übergangen zu werden.

Die Entscheidung Washingtons, bilaterale Verhandlungen mit Moskau zu führen, ruft Besorgnis hervor. Die USA, traditionell die treibende Kraft in der westlichen Sicherheitspolitik, haben durch diese Entwicklung gezeigt, dass sie nicht unbedingt die europäische Perspektive als essenziell betrachten. Das lässt Zweifel daran aufkommen, inwieweit die Interessen Kiews und der europäischen Nachbarn in einem möglichen Friedensabkommen Berücksichtigung finden. Die Europäer müssen sich daher fragen, ob sie weiterhin auf die Schutzmacht USA vertrauen oder verstärkt eigene Initiativen ergreifen sollten.

Die Antwort darauf zeichnet sich bereits ab: Die Bereitschaft zur Übernahme einer größeren sicherheitspolitischen Verantwortung nimmt zu. Erste Schritte in diese Richtung sind die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und der Ausbau der militärischen Kapazitäten. Gleichzeitig wird in Erwägung gezogen, der Ukraine Sicherheitsgarantien anzubieten, die sich nicht nur auf diplomatische Versprechen beschränken, sondern im Ernstfall eine aktive militärische Unterstützung vorsehen.

Doch eine verstärkte europäische Führungsrolle erfordert mehr als nur Rhetorik. Der Ruf nach einer handlungsfähigen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nicht neu, doch bislang wurden konkrete Schritte oft durch divergierende nationale Interessen behindert. Die aktuelle Krise könnte als Katalysator wirken, um die bisher zögerliche Integration in diesem Bereich zu überwinden. Sollten sich die Mitgliedstaaten auf eine kooperative Strategie einigen, könnte Europa nicht nur seine eigene Position stärken, sondern auch als stabilisierende Kraft in der globalen Ordnung auftreten.

Die Gespräche zwischen Washington und Moskau werfen zudem die Frage auf, welche Rolle die NATO künftig spielen soll. Während die transatlantische Allianz in den vergangenen Jahren ein starkes Zeichen der Geschlossenheit ausgesendet hat, bleibt unklar, wie sich ein etwaiges Abkommen zwischen den USA und Russland auf die NATO-Strategie auswirken würde. Insbesondere osteuropäische Staaten wie Polen oder die baltischen Länder drängen darauf, dass die Verteidigungsbereitschaft des Bündnisses nicht geschwächt wird. Eine europäische Eigeninitiative könnte dabei helfen, das Sicherheitsvakuum zu füllen, falls Washington seine Prioritäten neu ordnen sollte.

Die Ukraine bleibt der zentrale Faktor in diesem geopolitischen Ringen. Kiew fordert zu Recht Sicherheitsgarantien, die über bloße Absichtserklärungen hinausgehen. Ein nachhaltiger Frieden kann nur erreicht werden, wenn Russland klar signalisiert wird, dass jede weitere Aggression mit erheblichen Konsequenzen verbunden ist. Diese Konsequenzen müssen nicht nur wirtschaftliche Sanktionen umfassen, sondern auch die Aussicht auf eine verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Europa den Worten auch Taten folgen lässt. Die strategische Weichenstellung, die derzeit in Paris und anderen europäischen Hauptstädten diskutiert wird, könnte darüber entscheiden, ob der Kontinent künftig eine eigenständige Rolle in der internationalen Sicherheitsarchitektur spielt oder weiterhin auf den Schutz von Verbündeten angewiesen bleibt. Sicher ist: Ohne eine entschlossene und geeinte Haltung wird es weder Frieden in der Ukraine noch eine stabile Sicherheitsordnung in Europa geben.

Von Andreas Brucker

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