Die Diskussion um die Besteuerung hoher Vermögen gehört zu den Konstanten der französischen Politik. Seit Jahrzehnten entzünden sich an der Frage, ob eine Vermögenssteuer Wohlhabende zur Flucht ins Ausland treibt, hitzige Kontroversen. Jüngst hat der Conseil d’analyse économique (CAE), ein regierungsnahes Beratungsgremium, neue Daten vorgelegt, die das gängige Narrativ relativieren.
Die Ergebnisse zeigen: Der fiskalische Exodus bleibt deutlich begrenzter, als politische Gegner einer Reichensteuer behaupten. Damit gewinnt die Debatte um Instrumente wie die sogenannte „Taxe Zucman“ neue Nahrung.
Ein geringerer Abwanderungseffekt als angenommen
Die Untersuchung des CAE fokussiert auf zwei Schlüsselereignisse der jüngeren Steuerpolitik: die Steuererhöhungen unter Präsident François Hollande 2013 und die Abschaffung der Impôt de solidarité sur la fortune (ISF) im Jahr 2017 durch Emmanuel Macron. Beide Reformen galten als potenzieller Auslöser für Kapital- und Personenabflüsse.
Die empirischen Befunde sind jedoch ernüchternd für allzu dramatische Szenarien: Nur etwa 0,2 % der Haushalte aus dem obersten Einkommensprozent verlassen Frankreich jährlich – und damit weniger als der landesweite Durchschnitt. Selbst deutliche Änderungen der Steuerlast führten lediglich zu marginalen Anpassungen dieser Abwanderung: Eine zusätzliche Belastung um einen Prozentpunkt dürfte laut CAE höchstens 0,23 % der Superreichen zur Emigration bewegen, was weniger als 1.000 Haushalten entspräche.
Das Bild vom massenhaften „Exil fiscal“, das Frankreich systematisch seiner Leistungsträger beraube, erhält so deutliche Risse.
Unternehmensfolgen versus gesamtwirtschaftliche Wirkung
Die Studie räumt ein, dass der Weggang einzelner hochvermögender Anteilseigner erhebliche Folgen für deren Unternehmen haben kann. Ein Austritt bedeutet im Durchschnitt einen Rückgang des Umsatzes um 15 %, der Beschäftigung um 30 % und der Wertschöpfung um 24 %.
Makroökonomisch bleibe das Gewicht dieser Einzelfälle aber begrenzt. Eine Steuererhöhung, die Mehreinnahmen von vier Milliarden Euro generieren würde, reduziere die gesamtstaatliche Lohnsumme um lediglich 0,04 % und die Bruttowertschöpfung um 0,05 %. Der fiskalische Zugewinn übersteigt damit bei weitem die potenziellen Verluste.
Die Debatte um die „Taxe Zucman“
Vor diesem Hintergrund haben linke Parteien erneut für eine substanzielle Vermögensbesteuerung mobilisiert. Ihr Vorschlag – die nach dem in Berkeley lehrenden französischen Ökonomen Gabriel Zucman benannte Steuer – sieht eine jährliche Mindestabgabe von 2 % auf Vermögen über 100 Millionen Euro vor. Der Senat lehnte das Vorhaben zwar im Juni 2025 ab, doch die Debatte hat inzwischen wieder an Schärfe gewonnen.
Der CAE weist darauf hin, dass nicht die physische Abwanderung das größte Risiko für den Steuerertrag darstellt, sondern legale und halblegale Optimierungsstrategien. Komplexe Konstruktionen zur Vermögensverschiebung ins Ausland, Nutzung von Steueroasen oder unternehmensinterne Gestaltungen mindern die Wirksamkeit einer Vermögensabgabe erheblich stärker als die Emigration einzelner Steuerzahler.
Politik zwischen Warnung und Realität
Die politischen Reaktionen auf den Bericht fallen erwartungsgemäß polarisiert aus. Premierminister François Bayrou warnte, eine Reichensteuer stelle eine „Bedrohung für Investitionen in Frankreich“ dar und begünstige einen „nomadisme fiscal“ der Eliten. Der CAE hält dagegen und konstatiert, dass das Phänomen in Wirklichkeit „relativ bescheiden“ bleibe und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen nur am Rande spürbar seien.
Damit verschiebt sich der Fokus der Debatte: Weg von alarmistischen Szenarien eines Steuerexodus, hin zur nüchternen Frage, wie der Staat Reichtum wirksam besteuern kann, ohne durch Ausweichstrategien den Ertrag zu verlieren.
Die Analyse des Conseil d’analyse économique liefert somit eine empirische Grundlage, um den oft emotional geführten Diskurs über die Besteuerung hoher Vermögen zu versachlichen. Sie deutet darauf hin, dass Frankreich fiskalischen Spielraum besitzt, um eine progressivere Steuerpolitik umzusetzen, ohne massive Abwanderungswellen zu riskieren. Entscheidend dürfte künftig weniger die Frage des „ob“, sondern die des „wie“ sein: Nur mit international abgestimmten Maßnahmen und einer Schließung von Schlupflöchern kann eine Vermögensbesteuerung tatsächlich ihre Wirkung entfalten.
Autor: Andreas M. Brucker
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