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Frankreich erlebt eine besorgniserregende Welle von Unternehmensinsolvenzen. Mit über 66.000 Insolvenzen in den letzten zwölf Monaten – ein Anstieg von über 20 % im Vergleich zum Vorjahr – wurde ein neuer Rekord erreicht. Diese Entwicklung wirft die Frage auf: Handelt es sich um eine vorübergehende Nachwirkung der Pandemiehilfen oder um eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise?

Der Hintergrund: Wirtschaftliche Belastungen häufen sich

Die Covid-19-Pandemie hatte durch die staatliche „Quoi qu’il en coûte“-Politik viele Unternehmen vor dem Aus bewahrt. Mithilfe staatlich garantierter Kredite (PGE) und umfangreicher Unterstützungsprogramme konnten zahlreiche Betriebe ihre Betriebskosten trotz sinkender Einnahmen decken. Doch die Rückzahlung dieser Hilfen sowie die steigenden Energie- und Materialkosten setzen die Unternehmen nun massiv unter Druck. Besonders betroffen sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die etwa 95 % der Insolvenzen ausmachen. Branchen wie Bau, Einzelhandel sowie Gastronomie und Hotellerie leiden am stärksten. Der Bausektor allein steht für 22 % aller Insolvenzen.

Ein Nachholeffekt der Pandemie?

Viele Experten sehen die aktuelle Entwicklung auch als Nachwirkung der Pandemie. Während der Corona-Krise wurden Insolvenzen durch staatliche Hilfen künstlich niedrig gehalten. Thierry Millon, Direktor der Studienabteilung des Beratungsunternehmens Altares, bezeichnet die aktuellen Zahlen als „progressive Regulierung“. Während vor der Pandemie durchschnittlich 59.000 Insolvenzen pro Jahr verzeichnet wurden, lag die Zahl in den letzten Jahren deutlich darunter. Die heutige Welle sei daher zum Teil ein Aufholprozess.

Eine Krise für die Kleinsten

Für Marc Sanchez, Generalsekretär des Syndikats der Selbstständigen und kleinen Unternehmen (TPE), geht die Krise jedoch weit über einen Nachholeffekt hinaus. Die gestiegenen Energiepreise, hohe Inflationsraten und die anhaltend schwache Nachfrage seien strukturelle Probleme. Besonders alarmierend: Immer mehr Unternehmer geben freiwillig auf. Laut Sanchez ist die Zahl der freiwilligen Geschäftsaufgaben im Jahr 2024 um 10 % gestiegen. Viele Unternehmer hätten „den Glauben verloren“, sagt er. Sie ziehen sich zurück, bevor sie in die Insolvenz rutschen.

Ein düsterer Ausblick

Die französische Wirtschaft steht unter Druck. Die Wachstumsrate stagniert bei 1,1 %, während das öffentliche Defizit auf über 6 % des BIP angestiegen ist. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung unter Michel Barnier ein Sparprogramm in Höhe von 60 Milliarden Euro angekündigt. Besonders heikel: Geplante Kürzungen bei Förderprogrammen für Unternehmen, darunter Zuschüsse für Einstellungen, Ausbildungsförderungen und Energiehilfen.

Die Unsicherheit über die Zukunft dieser Unterstützungen verstärkt die schwierige Lage vieler Unternehmen. Marc Sanchez warnt, dass der „soziale und politische Druck“ die ohnehin fragile Unternehmensstimmung weiter verschlechtert. Investitionen, Einstellungen und Innovationen bleiben aus, was die wirtschaftliche Erholung zusätzlich bremst.

Die strukturellen Herausforderungen

Obwohl die staatlichen Hilfsprogramme kurzfristig erfolgreich waren, haben sie langfristige Probleme nicht gelöst. Frankreich hat eine vergleichsweise niedrige Recyclingrate von insolventen Unternehmen, und der Zugang zu Wachstumskapital für kleine und mittlere Unternehmen bleibt eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass steigende Energiekosten, globale Unsicherheiten und Inflation viele Geschäftsmodelle auf die Probe stellen.

Was bringt die Zukunft?

Die Frage, ob es sich um einen kurzfristigen Nachholeffekt oder eine tiefergehende Krise handelt, bleibt offen. Während einige Experten wie die Banque de France den Optimismus wahren und von einer „kontrollierten Regulierung“ sprechen, deutet die Lage bei den TPE auf eine langfristige Belastung hin. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die geplanten Sparmaßnahmen die Situation entschärfen können oder ob sie die wirtschaftliche Belastung weiter verschärfen. Klar ist, dass die Stabilität kleiner und mittlerer Unternehmen entscheidend für die Erholung der französischen Wirtschaft sein wird.


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