Home Editorial Frankreich im Ausnahmezustand: Generalstreik legt das Land lahm

Frankreich im Ausnahmezustand: Generalstreik legt das Land lahm

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Illustration Nachrichten.fr
Tag & Nacht

Frankreich erlebt an diesem Donnerstag, dem 18. September 2025, einen neuen Tag der Massenmobilisierung – und die Stimmung ist aufgeheizt. Schon früh am Morgen meldeten die Behörden Blockaden, Festnahmen und unzählige kleinere Aktionen im ganzen Land. Bis zu 900.000 Menschen sollen laut Innenministerium im Laufe des Tages auf die Straße gehen, um gegen die Sparmaßnahmen der Regierung und alte wie neue Reformen zu protestieren.

Ein Land im Stillstand

Wer heute in Frankreich mit Bus, Bahn oder Flugzeug unterwegs sein will, braucht starke Nerven. Auch viele Schulen bleiben geschlossen, Apotheken sind dicht, und in einigen Städten sorgen Schülerblockaden für zusätzlichen Stillstand. Marseille war am Morgen bereits ein Brennpunkt: 22 Personen wurden bereits bis 8:15 Uhr festgenommen, so die örtliche Präfektur.

Die Zahl der „Aktionen éparses“, also verstreuten Proteste, war schon früh dreistellig. Landstraßen, Industriegebiete, Universitäten – fast überall im Land versuchten kleinere Gruppen, den Alltag lahmzulegen.

Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft

Innenminister Bruno Retailleau hat das größte Sicherheitsaufgebot seit den Zeiten der Gelbwesten-Proteste von 2019 angekündigt. Mindestens 80.000 Polizisten und Gendarmen sind im Einsatz, dazu 24 gepanzerte Fahrzeuge der Gendarmerie und zehn Wasserwerfer. Schon kurz nach Sonnenaufgang warnte Bruno Retailleau man werde „in keiner Weise nachsichtig“ sein, sollte es zu Gewalt oder Vandalismus kommen.

In Paris herrscht besondere Anspannung. Polizeipräfekt Laurent Nuñez zeigte sich „sehr besorgt“ über mögliche Ausschreitungen – er rechnet mit zahlreichen sogenannten „casseurs“, also gewaltbereiten Gruppen, die sich unter die Demonstranten mischen.

Mélenchon mahnt Disziplin an

Jean-Luc Mélenchon, Galionsfigur der radikalen Linken und Chef der Partei La France insoumise, rief seine Anhänger am Vorabend über die Plattform X zu „größter Disziplin“ auf. Seine Botschaft: nicht denjenigen in die Hände spielen, die nur darauf warten, dass der Protest in Gewalt umschlägt.

Dieser Appell zeigt, wie groß die Nervosität im linken Lager ist. Denn während die Gewerkschaften auf breite, friedliche Teilnahme setzen, droht jeder eskalierte Zwischenfall den Kern ihrer Forderungen zu überschatten.

Warum so viele auf die Straße gehen

Die Gründe für die Wut sind vielfältig – und tief verwurzelt. Viele Franzosen empfinden die im Sommer von Ex-Premier François Bayrou verkündeten Sparmaßnahmen als Angriff auf ihr Leben. Sie fordern die Rücknahme der Rentenreform, mehr Steuergerechtigkeit und vor allem: spürbare Investitionen in die öffentlichen Dienste.

Eine aktuelle Elabe-Umfrage für den Sender BFMTV zeigt: 56 % der Bevölkerung unterstützen den Protest. Das ist kein Randphänomen, sondern ein breites gesellschaftliches Signal – von Krankenschwestern bis Lehrern, von Studenten bis zu Rentnern.

Die Stimmung: zwischen Hoffnung und Angst

Auf den Straßen herrscht Entschlossenheit, manchmal fast Volksfeststimmung. Gleichzeitig liegt eine gewisse Beklemmung in der Luft. Niemand weiß, ob der Tag friedlich verläuft oder ob er in Schlagzeilen über brennende Barrikaden münden wird. Die Erinnerung an die Gelbwesten steckt noch tief – damals war aus einer sozialen Bewegung binnen Wochen ein Symptom politischer Ohnmacht geworden.

Eine Frage stellt sich: Wird diese Mobilisierung die Regierung zum Einlenken bewegen? Oder verpufft sie wie so viele Streiktage zuvor, kraftvoll in der Menge, machtlos in der Wirkung?

Ein Land im Spiegelbild seiner Konflikte

Frankreichs Straßen sind heute nicht nur Bühne des Protests, sondern auch Spiegelbild der sozialen Brüche. Wer genau hinsieht, erkennt die eigentliche Botschaft: Es geht nicht allein um Budgetkürzungen, sondern um das Vertrauen in die Zukunft.

Und genau dieses Vertrauen scheint bei vielen verloren gegangen zu sein.

Autor: Andreas M. Brucker






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