Tag & Nacht




40 Grad im Schatten. 84 Départements im Alarmmodus. Schulen geschlossen, Gefängnisse im Notfallbetrieb, und Nächte, in denen die Hitze wie ein nasses Tuch auf der Haut liegt. Frankreich erlebt derzeit eine Hitzewelle, wie sie das Land kaum je gesehen hat.

Doch was steckt dahinter? Und vor allem – was bedeutet diese brutale Hitze für die Zukunft Europas?

Stell dir vor: Montagmorgen, du wachst auf, es sind schon 27 Grad. Die Luft flimmert, obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen ist. Klingt wie ein Urlaub in Marrakesch, oder?

Nur – wir reden hier von Lille, Paris, Lyon und Bordeaux.

Die Temperaturen steigen vielerorts heute auf bis zu 41 Grad. Selbst nachts kühlt es kaum unter 24 Grad ab. Kein Schlaf, kein Durchatmen, keine Pause.

Warum ist diese Hitzewelle so besonders?

Ganz einfach: Sie trifft fast die gesamte französische Landkarte. Nur ein paar Streifen an den Küsten der Bretagne und Normandie bleiben verschont. Die Ministerin der ökologischen Transition, Agnès Pannier-Runacher, nennt es „du jamais-vu“. Also: noch nie dagewesen.

Und während Meteorologen den Höhepunkt Mitte der Woche erwarten, fragen sich viele: Wird bald die Alarmstufe Rot ausgerufen? Die wäre ein Zeichen für eine extreme und lebensgefährliche Hitzewelle – ein Szenario, das in Frankreich, örtlich begrenzt, bisher nur wenige Male Realität wurde.

Hitze im Alltag: Wenn Schulen und Gefängnisse kapitulieren

200 Schulen haben ihre Tore dichtgemacht. In Tours bleiben alle Schulen mindestens bis Dienstagnachmittag geschlossen. Und wer Kinder hat, weiß: Das ist keine Luxusentscheidung. Das ist ein Schutz vor gefährlicher Überhitzung.

Auch in französischen Gefängnissen läuft der sogenannte „Plan Canicule“. Der soll verhindern, dass Häftlinge und Wärter kollabieren. Aktivitäten werden eingeschränkt, Wasser verteilt, Stundenpläne angepasst. Man stelle sich vor, eingesperrt zu sein in einer Zelle ohne Klimaanlage bei 40 Grad – kaum auszuhalten.

Und auf den Straßen?

In der Île-de-France gilt ein besonderes Tempolimit, um die Ozonbelastung nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Denn Hitze plus Abgase gleich dicke, giftige Suppe in der Luft. Klingt fies – ist es auch.

Klimawandel? Aber sowas von

Ist diese Hitze eine Laune der Natur? Eher nicht.

Frankreich zählt aktuell die 50. offizielle Hitzewelle seit 1947. Und weißt du was? 33 davon fanden im 21. Jahrhundert statt. Ein Drittel aller Hitzewellen in weniger als einem Viertel der untersuchten Zeitspanne – das ist keine Statistikspielerei, das ist ein Alarmsignal.

Denn mit jedem weiteren Zehntelgrad Erwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit für extreme Hitzeereignisse drastisch an. Schon jetzt spricht Météo-France von einer möglichen roten Alarmstufe, falls sich die Situation zuspitzt. Rote Alarmstufe bedeutet: Extremhitze mit massiven Auswirkungen auf die Gesundheit und den gesamten Alltag. Das ist dann nicht mehr nur unangenehm, sondern potenziell tödlich.

Was macht diese Hitze so gefährlich?

Kurz gesagt: Der Körper kann nicht mehr richtig kühlen.

Normalerweise hilft Schwitzen. Aber bei tropischen Nächten, in denen es nie unter 20 Grad abkühlt, fehlt jede Regeneration. Besonders ältere Menschen, chronisch Kranke, kleine Kinder und Obdachlose sind gefährdet. In Frankreich starben während der Hitzewelle 2003 mehr als 15.000 Menschen. Diese Zahl schwebt seither wie ein dunkler Schatten über jeder neuen Hitzewelle.

Und wer glaubt, Klimaanlagen seien die Lösung – naja. Einerseits haben viele Haushalte keine. Andererseits fressen Klimaanlagen gewaltig Strom und heizen Städte zusätzlich auf, weil sie die Wärme nach außen abgeben. Ein Teufelskreis.

Und was bedeutet das für morgen?

Hier kommt die unbequeme Wahrheit: Diese Hitzewelle ist ein Vorgeschmack.

Europa wird in den kommenden Jahrzehnten häufiger und länger von solchen Extremen heimgesucht werden. Schon jetzt warnen Klimawissenschaftler, dass wir unsere Städte komplett umgestalten müssen. Grüne Dächer, weniger Asphalt, mehr Schatten. Andernfalls werden Hitzetote und kollabierende Infrastrukturen bald zum traurigen Normalzustand.

Warum also handeln wir so zögerlich?

Politische Anpassung: Ein Wettrennen gegen die Zeit

Frankreich hat seit 2003 einen nationalen Hitzeschutzplan. Doch viele Kommunen sind schlecht gerüstet, gerade kleinere Dörfer ohne Klimaanlagen in Seniorenheimen. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern um Gerechtigkeit. Denn wie so oft trifft der Klimawandel vor allem jene, die ohnehin am wenigsten haben: Arme Haushalte, isolierte Menschen, körperlich Arbeitende ohne Schutzmöglichkeiten.

Eine rhetorische Frage drängt sich auf: Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der ein Sommer für Hunderttausende lebensgefährlich wird?

Hitze und Gesellschaft: Die unsichtbare Ungerechtigkeit

Hitzewellen sind keine großen Gleichmacher.

Sie treffen nicht alle gleich hart. Wer sich einen gekühlten Coworking Space leisten kann, arbeitet entspannt weiter. Wer Bauarbeiter ist oder Pakete ausliefert, leidet. Wer einsam in einer Dachgeschosswohnung sitzt, kämpft ums Überleben.

Hier liegt der Kern der Klimagerechtigkeit: Anpassung ist nicht nur technisches Upgrade. Sie ist eine moralische Pflicht gegenüber den Schwächsten.

Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft: Ein unzertrennliches Duo

Wer Hitze rein meteorologisch betrachtet, sieht nur Zahlen. Doch dahinter stecken Geschichten von Angst, Erschöpfung und Unsicherheit. Deshalb braucht es die Zusammenarbeit von Meteorologen, Stadtplanern, Sozialarbeitern, Mediziner:innen, Architekten und Politiker:innen.

Denn wer soll die kühlenden Grünanlagen entwerfen, wer die städtischen Notfallpläne umsetzen, wer die Versorgung der Alten und Kranken sicherstellen? Klimakrise ist eben mehr als Temperaturkurven.

Persönliche Reflexion: Wut und Hoffnung

Ich gebe zu – manchmal macht mich diese Entwicklung wütend. Wütend darüber, wie wenig wir aus den letzten 30 Jahren gelernt haben. Wie viele Alarmsignale noch kommen müssen?

Aber gleichzeitig sehe ich Hoffnung. Hoffnung in der Entschlossenheit mancher Kommunen, ihre Innenstädte umzukrempeln. Hoffnung in Initiativen, die öffentliche Kältezentren schaffen. Hoffnung in jungen Generationen, die sich mit Klimawissen und politischer Schlagkraft bewaffnen.

Denn eins ist sicher: Diese Hitze wird nicht die letzte sein.

Aber sie kann der Wendepunkt sein, an dem wir beginnen, unsere Städte, unser Verhalten und unsere Politik konsequent klimaresilient zu gestalten.

Was kannst du tun?

Ganz praktisch:

  • Trink Wasser. Viel. Ja, klingt simpel, rettet aber Leben.
  • Kühl deinen Körper runter. Dusche lauwarm, nicht eiskalt, sonst heizt du wieder auf.
  • Schütze andere. Ruf bei älteren Nachbarn an, frag deine Freunde, ob sie Hilfe brauchen.
  • Engagiere dich. Politisch, nachbarschaftlich, aktivistisch – alles hilft.
  • Sprich darüber. Denn jede*r, der versteht, was gerade passiert, ist Teil der Lösung.

Und vielleicht stellst du dir selbst diese zweite rhetorische Frage:

Wenn wir wissen, was kommt – warum warten wir noch damit, endlich etwas zu tun?

Von Andreas M. Brucker


Quellen

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