Frankreich steht am Abgrund. Nicht wirtschaftlich, nicht militärisch, nicht kulturell. Sondern zutiefst demokratisch.
Nur 26 Prozent der Französinnen und Franzosen sagen noch: „Ich vertraue der Politik.“ Ein Viertel. Drei von vier Menschen haben innerlich abgeschaltet, fühlen sich nicht mehr vertreten, nicht mehr gehört – nicht mehr ernst genommen.
Und wer will es ihnen verübeln?
Was da in Frankreich gerade passiert, ist keine bloße Laune der Umfrage. Es ist das Fieberthermometer einer Republik, die sich selbst nicht mehr spürt. Die eigene Bevölkerung misstraut ihrem Parlament so sehr wie zuletzt während des Aufstands der „gilets jaunes“. Damals brannten Autos – heute brennt das Vertrauen.
Wie konnte es so weit kommen?
Politiker, die nur noch Schlagzeilen suchen. Parteien, die sich in ideologischen Grabenkämpfen verzetteln. Gesetze, die an der Lebensrealität vorbeigeschrieben werden. Und ein Präsident, der zwar durchregiert – aber offenbar längst nicht mehr durchdringt.
Die Menschen wollen Nähe. Kein Pathos, keine PR-Offensive, keine Phrasen. Sie wollen spüren, dass da oben jemand ist, der sich kümmert – nicht nur um Frankreich, sondern um sie. Um ihr Dorf, ihre Familie, ihren Alltag. Und wer bekommt dieses Vertrauen? Der Bürgermeister. Die Bürgermeisterin. Der Mensch, der nicht redet, sondern macht. 61 Prozent vertrauen ihrem* ihrer Bürgermeister:in – während dieselben Leute bei nationalen Politikern nur noch Korruption, Arroganz und Ignoranz sehen.
Ist das überzogen?
Vielleicht. Aber es ist vor allem: ehrlich.
Und wie antwortet Paris auf diesen Frust? Mit Reformvorschlägen, Kommissionen, ein paar gut gemeinten Reden. Doch was fehlt, ist das Eingeständnis: Die politische Klasse hat versagt. Nicht im Detail – sondern im System.
Denn 41 Prozent der Franzosen sind heute offen für ein autoritäreres Regime. Sie wollen weniger Demokratie – weil sie Demokratie nur noch als Theater empfinden. Das ist kein Missverständnis mehr. Das ist ein Warnschuss. Oder besser: ein Hilfeschrei.
Jetzt gibt es zwei Wege: Entweder Frankreich nimmt diese Krise als Startschuss für eine neue Form der Politik – bürgernah, transparent, auf Augenhöhe. Oder die Republik driftet ab in einen Zynismus, der sich irgendwann in Stimmen für Extreme übersetzt. Rechts, links – egal. Hauptsache gegen „die da oben“.
Frankreichs republikanische Seele ist erschöpft.
Und wenn die demokratische Mitte weiter schweigt, wird bald niemand mehr übrig sein, der sie verteidigt.
Denn eine Demokratie, die nur noch in Talkshows lebt, ist keine Demokratie mehr.
Sie ist eine Fiktion.
Ein Kommentar von C. Hatty
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