Das französische Parlament streitet wieder – diesmal geht es nicht um Renten oder Agrarpolitik, sondern um Burger, Wraps und Pommes. Eine geplante „Taxe fast-food“ sorgt derzeit für hitzige Debatten. Der Vorschlag: eine doppelte Abgabe für Franchisebetriebe der Schnellgastronomie – 50.000 Euro bei der Eröffnung und 10.000 Euro jährlich. Wer in der Nähe einer Schule eröffnet, zahlt sogar das Doppelte. Die Idee stammt aus den Reihen der Grünen und Sozialisten, verpackt im Haushaltsentwurf 2026. Ihr Ziel: weniger Junkfood, mehr gesunde Ernährung – und vielleicht auch ein Stück urbaner Vielfalt zurückgewinnen.
Doch was steckt dahinter? Und kann so eine Steuer wirklich den französischen Hunger nach Fast-Food bremsen?
Ein Land im Wandel – im Wandel des Essens
Frankreich war lange stolz auf seine kulinarische Tradition – auf Bistros, Terrinen, Käseplatten, auf das Ritual des langen Mittagessens. Doch in den letzten zehn Jahren hat sich das Straßenbild verändert. An jeder Ecke prangen die vertrauten Logos amerikanischer oder französischer Fast-Food-Ketten. McDonald’s, Burger King, KFC, O’Tacos, Subway – sie alle haben sich tief in die Alltagskultur eingeschrieben. Laut den Abgeordneten, die das Gesetz eingebracht haben, gibt es heute mehr Fast-Food-Filialen als klassische Restaurants.
Die Gründe? Schnell erklärt: Tempo, Preis, Verfügbarkeit. Der Burger ist längst kein Importprodukt mehr – er ist ein Alltagsprodukt, ein „repas pressé“ für Schüler, Studierende, Berufstätige. Eine Entwicklung, die in Paris anders aussieht als in Perpignan, in Dijon oder Lille – aber überall spürbar ist.
Und genau da setzt das neue Gesetz an.
Der Plan: Bremsen statt verbieten
Die Initiatoren des Gesetzesvorschlags sehen ihre Steuer nicht als Verbot, sondern als „sanfte Bremse“. Eine Art Eintrittsgeld für ein Marktsegment, das sich rasant verbreitet. Das Argument: Wenn die Eröffnung einer Franchisefiliale teurer wird, überlegt man es sich zweimal, ob man die nächste Burgerbude wirklich direkt neben einer Schule baut. So soll die Maßnahme den Wildwuchs stoppen – und gleichzeitig die kleinen, unabhängigen Restaurants schützen, die sich gegen die großen Marken kaum behaupten können.
Ein zweiter Gedanke: Gesundheitspolitik. In Frankreich, wo inzwischen fast jedes fünfte Kind übergewichtig ist, wächst die Sorge über die Nähe von Fast-Food-Ketten zu Schulen. Studien zeigen, dass Jugendliche, die täglich an drei oder mehr solcher Lokale vorbeikommen, häufiger zu kalorienreichen Mahlzeiten greifen. Die symbolische Botschaft der Steuer ist klar: weniger Fritten vor der Schultür.
Doch wie jede Idee, die an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Moralpolitik liegt, ruft auch diese sofort Kritiker auf den Plan.
Empörung im Franchise-Land
„Eine Steuer der Schande“, schimpft die Fédération Française de la Franchise. Der Vorwurf: Diskriminierung. Denn betroffen wären ausschließlich Franchisebetriebe – also Unternehmer, die unter einer bekannten Marke, aber auf eigenes Risiko arbeiten. Keine großen Konzerne also, sondern zumeist lokale Selbständige, die sich mit einem Franchisevertrag ein Standbein schaffen. 92 Prozent der Fast-Food-Franchisenehmer gelten als Kleinunternehmer.
Für viele von ihnen ist das geplante Gesetz ein direkter Angriff auf ihr Geschäftsmodell. „Warum soll ein McDonald’s-Franchisenehmer zahlen, aber ein firmeneigener KFC nicht?“, fragt ein Betreiber aus Lyon in einem Interview. Der Verdacht liegt nahe: Die Politik sucht sich das symbolträchtigste Ziel – die Franchise – als Stellvertreter für ein größeres Problem.
Dazu kommt ein juristisches Risiko. Wenn die Steuer nur auf das Franchisemodell zielt, nicht aber auf den gleichen Betriebstyp im Eigentum der Marke, könnte das gegen Wettbewerbsgrundsätze verstoßen. Der Conseil constitutionnel, Frankreichs Verfassungsrat, würde sich vermutlich bald damit befassen müssen.
Ein Preis für den Burger – und für die Städte
Was würde die Steuer tatsächlich verändern? 50.000 Euro Eintritt und 10.000 Euro jährlich – das klingt zunächst viel. Doch wer ein Restaurant dieser Größe eröffnet, kalkuliert ohnehin mit sechsstelligen Summen. In einer florierenden Stadtlage mit hohem Umsatz dürfte diese Zusatzabgabe kaum abschrecken. In ländlichen Gebieten dagegen, wo Margen niedriger sind, könnte sie den Ausschlag geben, ein Projekt ganz zu streichen.
Genau hier liegt der Knackpunkt: Die Steuer trifft nicht gleichmäßig. In Paris wird sie lästig, auf dem Land möglicherweise existenzgefährdend. Paradoxerweise könnte sie jene Regionen am stärksten treffen, die ohnehin wirtschaftlich schwächer sind – wo sich Fast-Food-Ketten gerade deshalb ansiedeln, weil die Kaufkraft niedrig ist und Alternativen fehlen. Ein klassischer Zielkonflikt: Will man die Menschen zu gesünderem Essen bewegen – oder bestimmte Unternehmer bestrafen?
Die Grenzen der Symbolpolitik
Frankreich hat bereits Erfahrung mit sogenannten „taxes comportementales“ – Verhaltenssteuern. Die Abgabe auf zuckerhaltige Getränke, 2012 eingeführt, sollte den Zuckerkonsum senken. Tatsächlich gingen die Verkäufe leicht zurück, aber das allgemeine Ernährungsverhalten änderte sich kaum. Auch diesmal bleibt Skepsis: Eine Steuer allein ändert keine Gewohnheiten, wenn das Umfeld gleich bleibt.
Wer soll dann die Lücke füllen, wenn weniger Fast-Food-Lokale eröffnen? Kleine Bistros? Regionale Konzepte? Bio-Kantinen? Ohne parallele Förderung für gesunde, bezahlbare Alternativen bleibt der Effekt wohl symbolisch. Denn wer zwischen einem 5-Euro-Menü und einem 15-Euro-Mittagstisch wählen muss, folgt selten dem Appell der Politik.
Zwischen Moral und Markt
Das Thema berührt einen tieferen Nerv: Frankreich steht an einem Scheideweg zwischen Genusskultur und moderner Bequemlichkeit. Die „Taxe fast-food“ ist mehr als ein fiskalisches Instrument – sie ist ein Spiegelbild dieser Spannung. Der Streit darum erinnert an den um die Schuluniform oder den SUV in der Stadt: Es geht weniger um das konkrete Objekt als um die Frage, welches Frankreich man sein will.
Ein Land, das seine Kinder vor Zucker und Fett schützt – oder eines, das individuelle Freiheit über alles stellt?
Stimmen aus der Praxis
Ein Restaurantbetreiber aus Bordeaux sagt: „Ich zahle ohnehin genug Steuern. Aber wenn sie das Geld nehmen, um Ernährungsbildung in Schulen zu finanzieren, kann ich damit leben.“ Ein anderer aus Marseille entgegnet: „Diese Steuer bestraft nicht McDonald’s, sondern mich. Ich bin ein Typ mit einem Kredit, nicht ein multinationaler Konzern.“
Solche Stimmen zeigen, wie fein die Balance ist. Die politische Absicht mag edel sein – die soziale Wirkung ist ungleich. In wirtschaftlich schwächeren Vierteln sind Fast-Food-Ketten oft auch Arbeitgeber, Treffpunkt, sozialer Ort. Wer sie verdrängt, muss Alternativen bieten, sonst bleibt am Ende ein leerer Laden und ein ungelöstes Problem.
Eine französische Antwort auf ein globales Thema?
International ist die Idee nicht neu. In Mexiko, Großbritannien oder Dänemark existieren ähnliche fiskalische Hebel – meist auf Zucker, Fett oder bestimmte Produkte, selten auf Geschäftsmodelle. Frankreich wählt diesmal also einen anderen Weg: Es zielt nicht auf das Essen, sondern auf den Ort, an dem es verkauft wird.
Ob das klug ist? Das wird sich zeigen. In einer Welt, in der Essen immer stärker mit Identität, Status und Emotionen verbunden ist, braucht jede Steuer Fingerspitzengefühl. Vielleicht wäre es wirkungsvoller, den Aufbau regionaler Lebensmittelnetzwerke, Kantinenkooperationen oder Stadtgärten zu fördern, statt den symbolischen Krieg gegen Burger und Nuggets zu führen.
Aber die Debatte selbst ist wertvoll. Sie zeigt, dass Ernährung wieder politisch ist – und dass die Republik ihre Esskultur nicht kampflos globalen Marken überlassen will.
Ein letzter Gedanke
Manchmal offenbaren Steuern mehr über eine Gesellschaft als über ihre Finanzen. Die geplante „Taxe fast-food“ erzählt von einem Frankreich, das um seine Identität ringt – zwischen Bistro und Drive-In, zwischen citoyen und consommateur. Sie ist riskant, ja – aber sie bringt Bewegung in eine Diskussion, die längst überfällig war.
Vielleicht ist das der eigentliche Gewinn.
Ein Artikel von M. Legrand
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