Es ist der Albtraum jedes Reisenden. Koffer gepackt, Ticket in der Tasche, Vorfreude auf Sonne, Strand oder Familienbesuch – doch am Gate heißt es: Flug gestrichen.
Frankreich erlebt derzeit genau dieses Szenario schom am zweiten Tag. Seit dem 3. Juli 2025 streiken die Fluglotsen, und das mitten zu Beginn der Sommerferien. Ein besonderes Timing – schmerzhaft für tausende Passagiere und mit weitreichenden Folgen für den europäischen Flugverkehr.
Der Streik trat am 4. Juli in seine zweite Phase ein, an jenem Freitag, der traditionell zu den größten Reisetagen des Jahres zählt. Ein Tag, an dem Frankreichs Flughäfen normalerweise pulsieren wie Bienenstöcke. Doch diesmal herrscht Chaos.
Die französische Luftfahrtbehörde DGAC hat den Fluggesellschaften kurzerhand auferlegt, ihre Flüge um 40 Prozent zu reduzieren – insbesondere an den Pariser Flughäfen Charles-de-Gaulle, Orly und Beauvais. Auch in Nizza, Lyon und Marseille wurden zahlreiche Verbindungen gestrichen.
Allein am 3. Juli fielen laut Angaben rund 933 Flüge aus – ein Zehntel des geplanten Gesamtaufkommens. In Nizza war es sogar die Hälfte aller Verbindungen, während Charles-de-Gaulle und Orly ein Viertel ihrer Starts und Landungen absagen mussten.
Man kann sich vorstellen, wie sich die Warteschlangen vor den Schaltern und Servicepoints schlängeln, wie erschöpfte Eltern Kinder trösteten und Geschäftsreisende hektisch in Smartphones tippten, um Alternativen zu buchen.
Doch warum dieser Streik gerade jetzt?
Zwei Gewerkschaften stehen hinter der Protestbewegung: UNSA-ICNA und USAC-CGT. Beide sind zwar in der Minderheit, vertreten jedoch zusammen fast ein Drittel der Fluglotsen.
Ihr Vorwurf: Personalmangel sei chronisch, Arbeitsbedingungen schlecht, das Management vergifte das Betriebsklima. Besonders pikant ist ihr Widerstand gegen eine geplante Reform zur Einführung biometrischer Zeiterfassungssysteme. Hintergrund ist ein beinahe katastrophales Ereignis in Bordeaux im Jahr 2022, als zwei Flugzeuge nur knapp an einer Kollision vorbeischrammten.
Aus Sicht der Gewerkschaften würde ein solches Kontrollsystem das Vertrauen in die Professionalität der Lotsen untergraben und zusätzlichen psychischen Druck erzeugen. „Wir sind keine Maschinen, sondern hochqualifizierte Experten“, betonen Vertreter immer wieder.
Interessanterweise unterstützt die Mehrheitsgewerkschaft SNCTA den Streik nicht. Sie hält die Forderungen zwar teilweise für berechtigt, lehnt aber Form und Zeitpunkt des Protests ab. Eine Spaltung, die Einblick in die Komplexität des Berufsstandes gibt.
Politik und Airlines reagieren gereizt
Frankreichs Verkehrsminister Philippe Tabarot ließ wenig Raum für Verständnis. Er bezeichnete die Forderungen als „unverhältnismäßig“ und kritisierte vor allem den gewählten Zeitpunkt scharf. In einer Phase, in der Millionen Franzosen und Touristen auf Reisen gehen, wirke die Streikankündigung wie eine „Geiselnahme der Bevölkerung“.
Tabarot verwies zudem auf den wirtschaftlichen Schaden, den Airlines bereits jetzt beziffern: mehrere Millionen Euro Verlust – pro Tag.
Die irische Billigairline Ryanair trifft es besonders hart. Mehr als 400 Flüge mussten gestrichen werden, was etwa 70.000 Passagiere betrifft. Konzernchef Michael O’Leary forderte prompt die Europäische Union auf, das europäische Flugsicherungssystem grundlegend zu reformieren, um derartige Streikfolgen künftig zu verringern.
Air France hingegen versucht, den Schaden zu begrenzen. Ihr Langstreckennetz bleibt stabil, doch auf Mittel- und Kurzstrecken sind Streichungen ebenfalls unvermeidbar.
Europas Himmel wird eng
Und nicht nur Frankreich leidet unter diesem Streik. Airlines for Europe (A4E) rechnet für den 3. und 4. Juli mit insgesamt 1.500 ausgefallenen Flügen und knapp 300.000 betroffenen Passagieren – auch auf Routen, die nur den französischen Luftraum überfliegen, ohne dort zu landen.
So kam es europaweit bereits gestern zu erheblichen Verspätungen. Flugzeuge mussten umgeleitet werden, Routen veränderten sich, Treibstoffkosten stiegen. Für Piloten und Crews bedeutete das Sonderschichten, für Passagiere Frust.
Eine Frage bleibt im Raum: Wer trägt letztlich die Verantwortung?
Die Gewerkschaften verweisen auf verschleppte Investitionen in Technik und Ausbildung. Fluglotsen würden immer wieder an die Grenze ihrer Belastbarkeit getrieben, während Behörden und Politik lediglich den reibungslosen Verkehr forderten, ohne strukturelle Probleme anzugehen.
Die Regierung wiederum argumentiert, der Zeitpunkt des Streiks sei „rücksichtslos“ und die Forderungen teils nicht nachvollziehbar.
Fest steht: Der Konflikt ist symptomatisch für tiefere Risse im französischen Luftfahrtsystem. Experten weisen auf marode Systeme, veraltete Kontrollsoftware und unbesetzte Posten hin – Probleme, die sich bei jedem Streik als Stau im System manifestieren.
Währenddessen herrscht bei Reisenden vor allem eine Frage vor: „Wann hebt mein Flieger endlich ab?“ Doch darauf gibt es derzeit keine verlässliche Antwort.
Warten, bangen, umbuchen
Die Gewerkschaften scheinen nicht von ihrem Kurs abzurücken, die Behörden bleiben hart. Viele Passagiere wurden bereits am Flughafen darüber informiert, dass sie besser mit der Bahn fahren sollten – wenn es überhaupt eine Verbindung gibt.
Der Ferienbeginn ist für Frankreich ein unantastbares Ritual, ähnlich wie der erste Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Umso schmerzhafter trifft die Nation ein Streik genau an diesem Punkt.
Am Ende bleibt ein Bild: Flugzeuge, die zwar startklar auf dem Rollfeld stehen, aber nicht in den Himmel dürfen. Menschen, die mit Blick auf die Anzeigetafel ihre Pläne neu ordnen müssen.
Und ein Land, das sich erneut fragt: Wie lange noch kann ein so wichtiges System auf Kante genäht funktionieren, bevor es endgültig ins Trudeln gerät?
Autor: Andreas M. Brucker
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