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Premierminister François Bayrou hat am 15. Juli 2025 einen Sparplan vorgestellt, der mit seiner Größenordnung und politischen Brisanz kaum zu übersehen ist. Insgesamt 43,8 Milliarden Euro sollen im Haushaltsjahr 2026 eingespart werden – ein drastischer Schritt, mit dem die Regierung das Haushaltsdefizit von derzeit knapp über 5,5 % auf 4,6 % des Bruttoinlandsprodukts senken will. Doch das Maßnahmenpaket trifft empfindliche gesellschaftliche Gruppen und entfacht erbitterten Widerstand.

Frankreich steht damit am Beginn eines möglicherweise entscheidenden Haushaltstreits, der weit über Zahlen hinausreicht: Es geht um das Kräfteverhältnis in der V. Republik, die Legitimität sozialer Einschnitte – und letztlich um die politische Überlebensfähigkeit des Kabinetts Bayrou.

Die Maßnahmen: Symbolkraft und soziale Härte

Der Sparkatalog, den François Bayrou in Paris vorlegte, umfasst mehrere heikle Punkte. Am auffälligsten ist die Abschaffung zweier gesetzlicher Feiertage: des Ostermontags und des 8. Mai (Gedenktag des Kriegsendes 1945). Diese symbolische Maßnahme soll laut Regierung „die nationale Arbeitsproduktivität stärken“ – faktisch entspricht sie einer Verlängerung der Jahresarbeitszeit um etwa 1 %.

Gravierender sind jedoch die Kürzungen bei Sozialtransfers. Renten und Sozialleistungen werden 2026 eingefroren, d. h. nicht wie üblich an die Inflation angepasst. Besonders hart trifft es die Rentner: Der bislang geltende pauschale Steuerfreibetrag von 10 % wird durch eine Deckelung auf 2.000 Euro ersetzt – eine Maßnahme, die laut Finanzministerium rund 5 Milliarden Euro jährlich einbringen soll.

Das Verteidigungsbudget soll hingegen angesichts internationaler Spannungen unangetastet bleiben und möglicherweise sogar erhöht werden. Auch Bildung und innere Sicherheit werden verschont – eine politische Prioritätensetzung, die signalisiert, welche Felder die Regierung trotz Sparzwang stärken will.

Die Regierung argumentiert mit fiskalischer Notwendigkeit. Arbeitsministerin Astrid Panosyan-Bouvet verglich den Staatshaushalt mit einem privaten Haushalt: „Wir haben 100 Euro Einkommen, aber 114 Euro Schulden.“ Tatsächlich sind Frankreichs Staatsfinanzen angeschlagen: Die Verschuldung liegt bei rund 112 % des BIP, der Schuldendienst nähert sich der Marke von 60 Milliarden Euro jährlich.

Vor allem die Europäische Kommission drängt auf Konsolidierung. Zwar wurde das europäische Defizitverfahren nach der Pandemie gelockert, doch im Frühjahr 2025 eröffnete Brüssel ein Verfahren gegen Frankreich wegen übermäßiger Defizite – ein politischer Warnschuss.

Bayrou setzt darauf, mit einem entschlossenen Sparkurs Vertrauen bei den Finanzmärkten und europäischen Partnern zurückzugewinnen. Das Ziel ist klar: Frankreich soll mittelfristig wieder unter die europäische Defizitgrenze von 3 % des BIP kommen, wie es der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht.

Politische Sprengkraft: Zwischen Misstrauensvoten und Blockade

Doch der Preis für diese Strategie könnte politisch hoch sein. Die Opposition reagierte geschlossen ablehnend. Marine Le Pen sprach von einem „untragbaren Angriff auf die Mittelschicht und die Rentner“ und kündigte eine eigene Misstrauensinitiative an. Die Linkspartei La France Insoumise nannte das Kabinett „das unsozialste der V. Republik“.

Der politische Kontext ist angespannt: Nach dem Sturz der Regierung Barnier im Dezember 2024 durch ein Misstrauensvotum ist die Nationalversammlung stark fragmentiert. Bayrou führt eine Minderheitsregierung, die auf wechselnde Mehrheiten angewiesen ist – ein instabiles Fundament für strukturelle Einschnitte dieser Größenordnung.

Sofort nach Bekanntgabe des Haushaltsplans hat ein überparteiliches Bündnis linker, rechtspopulistischer und souveränistischer Abgeordneter eine gemeinsame Abstimmung gegen das Budget in Aussicht gestellt. Sollte hierbei eine Mehrheit zustande kommen, könnte Bayrou das gleiche Schicksal ereilen wie seinem Vorgänger.

Der französische Sozialstaat auf dem Prüfstand

Ökonomisch ist der Sparplan Bayrous aus Sicht mancher Experten überfällig. Frankreichs Sozialausgaben gehören zu den höchsten der OECD – etwa 31 % des BIP fließen in Renten, Gesundheit und Sozialleistungen. Kritiker bemängeln seit Jahren mangelnde Effizienz und unzureichende Reformen. Doch der Widerstand gegen Eingriffe in diesem Bereich bleibt massiv: Rentenreformen führten in der Vergangenheit regelmäßig zu Generalstreiks, zuletzt 2023.

Die jetzige Regierung riskiert, einen solchen sozialen Konflikt zu wiederholen – ohne den Rückhalt eines stabilen Präsidentenlagers. Bayrou, ein erfahrener Zentrumspolitiker, setzt auf das Verständnis des Ernstes der Lage, um politische Verantwortung in der Nationalversammlung einzufordern. Doch ob ihm das in einem stark polarisierten Parlament gelingt, ist offen.

Das Jahr 2026 könnte so zu einer Wegmarke werden: für Frankreichs fiskalpolitische Glaubwürdigkeit – oder für den nächsten Regierungskollaps.

Autor: P. Tiko

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