In vielen französischen Großstädten ist die Zeit der dominierenden Autos vorbei. Ein tiefgreifender Wandel in der Mobilität ist in vollem Gange – sichtbar, hörbar und manchmal auch umstritten. Denn was mit Umwelt- und Klimaschutz beginnt, berührt längst auch soziale Gerechtigkeit und städtische Lebensqualität.
ZFE: Weniger Abgase, mehr Debatte
Die sogenannten „Zones à Faibles Émissions“ (ZFE) gehören zu den schärfsten Instrumenten gegen die Luftverschmutzung in Städten. Ihr Prinzip: Alte, umweltschädliche Fahrzeuge dürfen bestimmte Stadtbereiche nicht mehr befahren – erkennbar an den Crit’Air-Vignetten.
Paris ging 2015 als Vorreiter voran, es folgten Lyon, Grenoble, Marseille und viele weitere. Mit dem Klimaschutzgesetz von 2021 ist klar: Alle französischen Ballungsräume mit mehr als 150.000 Einwohnern müssen spätestens Anfang 2025 eine ZFE einführen. Das Ziel ist glasklar – saubere Luft, weniger Lärm, gesündere Städte.
Aber: Was für die Umwelt gut ist, kann für manche Menschen zur Belastung werden. Vor allem sozial schwächere Haushalte fahren oft ältere Fahrzeuge – und können sich nicht mal eben ein neues E-Auto leisten. Zwar gibt es Hilfen beim Umstieg – doch die sind teils bürokratisch, unzureichend oder schlicht nicht bekannt.
Auto raus, Lebensqualität rein?
In Paris geht man noch einen Schritt weiter. Seit November 2024 ist in den innersten vier Arrondissements eine „Zone à Trafic Limité“ (ZTL) aktiv – Durchgangsverkehr ist tabu. Nur wer einen triftigen Grund hat, darf noch mit dem Auto rein. Alle anderen: bitte laufen, radeln oder den Bus nehmen.
Was früher undenkbar schien, wird nun Realität. Die Straßen gehören wieder den Menschen – so zumindest die Vision. Spaziergänger, Kinder, Cafés – statt Blechlawinen und Parkplatzsuche. Klingt traumhaft, oder?
Aber der Umbau zur „Stadt ohne Auto“ ist kein Spaziergang. Außerhalb der Innenstadt sieht die Lage ganz anders aus: In den Vororten und auf dem Land bleibt das Auto oft unverzichtbar – für den Job, den Einkauf oder den Arztbesuch. Wer hier keine Alternativen schafft, erzeugt neue Ungleichheiten.
Ein elektrischer Traum?
Ein Königsweg scheint die Elektromobilität zu sein. Immer mehr französische Städte setzen auf E-Autos, Ladestationen schießen wie Pilze aus dem Boden. Doch E-Auto ist nicht gleich klimafreundlich – besonders, wenn es groß, schwer und teuer ist.
Die Soziologin Dominique Méda fordert: „Was wir brauchen, sind kleine, erschwingliche Elektroautos für alle.“ Derzeit aber sind die meisten Modelle noch Luxus für Besserverdiener – und die öffentliche Debatte kreist mehr um Tesla als um Twingo.
Mehr als nur Technik: Ein neues Denken
Ein echter Wandel braucht mehr als neue Antriebe. Städte müssen so gestaltet sein, dass man sich auch ohne Auto problemlos bewegen kann. Das heißt: kurze Wege, gute Bus- und Bahnverbindungen, sichere Radwege, attraktive Fußgängerzonen. Die Olympischen Spiele in Paris 2024 waren ein echter Katalysator – viele neue Radwege wurden gebaut, ganze Quartiere verkehrsberuhigt.
Das Ziel: Städte, die nicht nur mobil, sondern auch lebenswert sind. Und das nicht nur für die sportlichen Hipster, sondern auch für Rentner, Familien und Menschen mit Behinderung.
Inklusion oder Ausgrenzung?
So viel Wandel weckt natürlich auch Ängste. Wird Mobilität bald zum Luxus? Wer nicht „grün genug“ unterwegs ist, bleibt außen vor? Genau hier liegt die Herausforderung: Der Weg zu nachhaltiger Mobilität darf nicht zur sozialen Spaltung führen.
Eine gerechte Verkehrswende bedeutet: niemanden zurücklassen. Das heißt: gezielte Förderungen, mehr Information, konkrete Hilfen – und ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen.
Was bleibt also zu tun?
Der Kampf gegen den Verkehrslärm und die Stickoxide ist kein Selbstzweck. Er ist Teil eines größeren Puzzles – einer Vision von Städten, in denen man gerne lebt, atmet, spielt und arbeitet. Das Auto hat darin vielleicht noch seinen Platz – aber eben nicht mehr überall und jederzeit.
Frankreich steht in dieser Frage an einem Wendepunkt. Die Richtung ist klar, aber der Weg dahin muss klug gewählt werden – mit Herz, Hirn und einem offenen Blick auf alle, die dabei mitgenommen werden sollen.
Von C. Hatty
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