Frankreichs Regierung plant im Haushalt 2026 Einsparungen von 40 Milliarden Euro. Ein zentrales Ziel ist dabei die Vereinfachung des Verwaltungsapparats – jenes „millefeuille administratif“, das in seiner sprichwörtlichen Schichtung an ein französisches Blätterteiggebäck erinnert. Doch die Pläne zur radikalen Entschlackung drohen erneut im Geflecht institutioneller Realitäten zu scheitern.
Im Mai 2024 bezifferte ein Regierungsbericht die jährlichen Kosten der Überlappungen zwischen Staat und Gebietskörperschaften auf rund 7,5 Milliarden Euro. Der größte Teil entfällt auf die Kommunen (4,8 Mrd.), gefolgt von Interkommunalverbänden, Departements und Regionen. Das Problem liegt weniger in konkreten Doppelstrukturen als im immensen Koordinationsaufwand: Verwaltungsmitarbeiter verbringen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Abstimmungen zwischen Ebenen, deren Zuständigkeiten häufig unklar definiert sind.
Ein Dickicht von 1.500 Staatsagenturen
Noch weit schwerer wiegt die Kostenbelastung durch die rund 1.500 Agenturen des französischen Staates, deren Ausgaben sich 2023 auf 81 Milliarden Euro beliefen – ein Anstieg um über 50 % binnen zehn Jahren. Ursprünglich als flexible Instrumente für spezifische Fachaufgaben gedacht, haben sich ihre Tätigkeiten teils verselbständigt und überschneiden sich häufig. So bestehen parallele Zuständigkeiten für Städtebau, Umweltmanagement oder Beschäftigungsförderung, ohne dass eine klare Priorisierung erkennbar wäre.
Der Senat veröffentlichte im Juli 2025 einen Bericht, der die Erwartungen an massive Einsparungen dämpfte. Zwar könnten durch die Zusammenlegung von Verwaltungsfunktionen einzelner Agenturen rund 540 Millionen Euro über zwei bis drei Jahre gespart werden. Doch selbst die komplette Schließung einzelner Einrichtungen – wie der Agence nationale de la rénovation urbaine (ANRU) – bliebe finanziell marginal im Verhältnis zum gesamtstaatlichen Konsolidierungsbedarf.
Politische Realität contra technokratische Effizienz
Hinter dem Reformstau steckt mehr als bloße Bürokratie-Trägheit. Jede Agentur sichert Einflussbereiche, Förderstrukturen und Arbeitsplätze. Gleichzeitig stellen sie Instrumente dar, mit denen Regierungen Politik sicht- und steuerbar machen. Die Auflösung oder Integration einer Agentur bedeutet nicht nur organisatorische Neuordnung, sondern einen Eingriff in eingespielte Entscheidungs- und Finanzierungsströme – sei es im Bereich Wohnungsbau, Sozialhilfe, Gesundheitsprävention oder Berufsbildung.
Ähnlich komplex gestaltet sich die Neuordnung zwischen Staat und Regionen. Seit den Dezentralisierungsgesetzen der 1980er-Jahre hat sich Frankreich formal stärker föderalisiert, doch bis heute verteidigen Zentralstaat und Gebietskörperschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten rigoros. Wie die Zeitung Le Monde berichtet, betrachtet der Élysée die kommunalen und regionalen Ebenen zwar als potenziellen Hebel für Effizienzgewinne – faktisch aber fürchtet Paris den Verlust zentralstaatlicher Steuerungskompetenz.
Die Grenzen des Rationalisierens
Frankreich steht nicht allein mit einem solchen Dilemma. Auch Italien, Spanien oder Belgien kämpfen mit ineffizienten Ebenenüberschneidungen. Doch Frankreichs Besonderheit liegt in der gleichzeitigen Ausdehnung von zentralstaatlichen Agenturen bei formal wachsender regionaler Autonomie. So verwundert es nicht, dass laut OECD-Vergleich das französische Verhältnis von Staatsausgaben zum BIP (ca. 58 %) weiterhin zu den höchsten der modernen Industrieländer gehört.
Premierminister François Bayrou setzt daher auf einen schrittweisen Ansatz: keine großen Verwaltungsrevolutionen, sondern eine technokratische Feinarbeit, die Verantwortlichkeiten klarer zuordnet und Doppelungen reduziert. Damit verbunden ist das Ziel, die Qualität öffentlicher Dienstleistungen nicht zu gefährden – eine Sorge, die insbesondere bei der angedachten Auflösung kleinerer Fachagenturen im Sozial- und Umweltbereich laut wird.
Die anvisierte „Rationalisierung“ wird dadurch zu einem politischen Drahtseilakt. Schon im Rahmen des Haushalts 2025 scheiterte ein Vorstoß zur Schließung mehrerer kleiner Agenturen am Widerstand der Parlamentsmehrheit. Angesichts der wachsenden Protestpotenziale – von Bauern bis Lehrern – scheint Präsident Emmanuel Macron in seiner zweiten Amtszeit wenig gewillt, teure Konflikte mit weiteren Berufsgruppen zu riskieren.
Frankreichs „millefeuille administratif“ bleibt damit Symbol einer strukturellen Unreformierbarkeit: Jeder neue Reformversuch führt zu neuen Kompromisskonstrukten – und somit zu weiteren Schichten in jenem System, dessen Komplexität bereits jetzt weltweit ihresgleichen sucht. Doch ohne einen substanziellen Schnitt drohen die langfristigen Kosten die Tragfähigkeit der französischen Staatsfinanzen zu übersteigen.
Autor: P. Tiko
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!