Tag & Nacht


Der Winter hat sich in der Haute Maurienne früher als erwartet angekündigt. In Aussois, jener überschaubaren Gemeinde auf 1.500 Metern Höhe im Herzen der Savoyer Alpen, liegt bereits Schnee. Kein symbolisches Weiß, sondern tragfähige Grundlage für eine Skisaison, die gerade erst beginnt und doch schon viel verspricht. Während andernorts noch gerechnet, gehofft und gebangt wird, drehen sich hier die Lifte – zumindest teilweise – seit dem vergangenen Wochenende. Weihnachten kann kommen.

Wer dieser Tage durch Aussois geht, spürt eine eigentümliche Mischung aus Konzentration und Vorfreude. Es ist diese Phase zwischen Vorbereitung und Aufbruch, in der jede Bewegung sitzt, jeder Handgriff Bedeutung bekommt. Hoch oben an den Seilen üben die Pistenretter routiniert die Evakuierung eines Sessellifts. Man hofft, sie nie zu brauchen, aber man trainiert, als wäre es morgen so weit. Sicherheit gehört im Gebirge nicht zur Kür, sondern zur Pflicht.

Der Schnee ist da. Nicht in verschwenderischer Fülle, sondern verlässlich. Nach einer milden Phase hat die Sonne zwar einen Teil der natürlichen Decke abgetragen, doch die kalten Novembernächte haben ihre Arbeit getan. Kunstschnee, produziert mit Präzision und Erfahrung, sorgt dafür, dass Skifahren pünktlich zum Start der Weihnachtsferien möglich bleibt. Es ist ein offenes Geheimnis der modernen Alpen: Ohne technische Unterstützung ginge vieles nicht mehr. Aber in Aussois spricht man darüber ohne Pathos, eher pragmatisch, fast beiläufig.

Die ersten Gäste genießen genau das, was in wenigen Tagen verschwinden wird – Ruhe. Leere Pisten, freie Tische, Platz zum Atmen. „Das ist einfach großartig“, sagt eine Urlauberin mit einem Lächeln, das man nicht spielen kann. „Fast wie eine private Skistation.“ Ein Satz, halb im Scherz, halb im Ernst. Wer jetzt hier ist, weiß, dass er einen Moment erwischt hat, den man nicht buchen kann.



Auch in den Höhenlagen laufen die Motoren warm. Ein Bergrestaurant bereitet sich auf den Ansturm vor. Der Besitzer hat vier Saisonkräfte eingestellt, die Küche wird getestet, die Vorräte aufgefüllt. Er rechnet mit einem Winter, der Arbeit bringt – viel Arbeit. Die Buchungszahlen, so heißt es, deuten auf eine gute Saison hin. Keine Euphorie, aber Zuversicht. In den Alpen lernt man, vorsichtig optimistisch zu sein.

Die Zahlen geben Anlass dazu. Die Reservierungen liegen rund zwei Prozent über dem Vorjahr. Kein spektakulärer Sprung, eher ein solides Plus. Für Aussois, das sich bewusst als familienfreundliche Destination positioniert, zählt genau diese Beständigkeit. Große Worte über Wachstum hört man hier selten. Man setzt auf Wiederkehrer, auf Stammgäste, auf das leise Versprechen, dass alles so bleibt, wie man es schätzt.

Besonders gefragt sind die kleinen Chalet-Bungalows am Dorfrand. 35 Quadratmeter, Platz für sechs Personen, funktional, gemütlich, ohne Schnickschnack. Rund 1.000 Euro kostet eine Woche. Kein Schnäppchen, aber auch kein Luxusprodukt. Im vergangenen Winter waren sie hervorragend ausgelastet, in diesem Jahr wiederholt sich das Bild. Zum Jahreswechsel ist Aussois ausgebucht. Für Weihnachten gibt es nur noch vereinzelte freie Termine. Wer jetzt noch sucht, braucht Glück – oder gute Beziehungen.

Der Direktor der Skistation spricht offen darüber. Die Nachfrage halte an, sagt er, und zwar ohne Anzeichen einer Abschwächung. Weihnachten und Neujahr seien nahezu voll. Das klingt sachlich, fast nüchtern. Doch zwischen den Zeilen schwingt Erleichterung mit. Nach Jahren voller Unwägbarkeiten – Wetter, Energiepreise, Pandemie-Nachwirkungen – fühlt sich ein stabiler Winter wie ein Geschenk an.

Mit den Gästen verändert sich das Dorf. Aussois zählt rund 700 Einwohner. In wenigen Tagen wird sich diese Zahl verzehnfachen. Dann strömen etwa 7.000 Urlauber durch die Straßen, füllen die Lifte, die Terrassen, die Geschäfte. Für manche Einheimische ist das anstrengend, für andere lebensnotwendig. Meistens ist es beides zugleich. Der Rhythmus des Winters bestimmt das Jahr, seit Generationen.

Und doch hat sich etwas verschoben. Der Schnee kommt nicht mehr selbstverständlich. Jeder frühe Winter wird dankbar registriert, jede kalte Nacht als Verbündeter gesehen. Die technische Beschneiung ist Teil des Alltags, aber sie ersetzt nicht das Gefühl, wenn es wirklich schneit. In Aussois weiß man das. Vielleicht erklärt genau das die ruhige Professionalität, mit der hier gearbeitet wird. Kein großes Getöse, keine Werbeslogans. Einfach machen.

Wenn in wenigen Tagen die ersten Familien ankommen, die Kinder ihre Skier schultern und die Eltern nach Jahren wieder tief durchatmen, wird Aussois bereit sein. Die Lifte laufen, die Pisten sind präpariert, die Restaurants geöffnet. Der Winter hat Einzug gehalten – leise, aber bestimmt.

Und manchmal reicht genau das.

Autor: C.H.

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