Tag & Nacht




Sich alt fühlen – das wollen die Wenigsten. Vor allem nicht in einem Heim, das eher an ein Krankenhaus erinnert als an ein Zuhause. Doch Alternativen gibt es. In Frankreich erobert das sogenannte „Habitat partagé“ Schritt für Schritt die Herzen und Lebenspläne vieler Senioren. Warum? Weil es mehr ist als nur Wohnen – es ist ein neues Lebensgefühl.


Wenn Zuhause wieder Gemeinschaft bedeutet

Die Idee ist simpel, aber wirkungsvoll: Ältere Menschen teilen sich ein Haus. Jeder hat seinen Rückzugsort, meist ein eigenes Zimmer mit Bad. Dazu kommen Gemeinschaftsräume – Küche, Wohnzimmer, Garten. Man lebt zusammen, ohne sich einzuengen. Der große Vorteil: Niemand bleibt allein.

Denn gerade Einsamkeit ist im Alter ein schleichender Feind. Viele Senioren wünschen sich Gesellschaft, aber auch Unabhängigkeit. Das „Habitat partagé“ bringt beides unter ein Dach – buchstäblich.


Vielfältige Modelle mit Herz

In Frankreich gibt es unterschiedliche Projekte, die diesen Wohnstil fördern.

CetteFamille bietet zum Beispiel kleine Häuser in ländlichen Regionen an. 6 bis 8 Bewohner, rund um die Uhr betreut – und dennoch mit viel Freiraum.

Domani setzt auf urbane Standorte, wo Senioren mitten im Leben bleiben. Die Atmosphäre ist familiär, die Unterstützung professionell.

Senioryta ist in der Auvergne-Rhône-Alpes zu Hause. Hier wird das Prinzip „WG im Alter“ gelebt – menschlich, flexibel, sicher.

Ages & Vie verwirklicht das Konzept in kleinen Häusern auf dem Land, oft sogar mit Betreuungskräften, die gleich mit einziehen. Näher geht’s kaum.


Wenn Senioren selbst zu Bauherren werden

Neben diesen professionellen Angeboten entstehen auch spannende Bürgerinitiativen. Etwa das Habitat participatif, bei dem ältere Menschen ihre Wohnprojekte selbst planen und gemeinsam umsetzen. So entstehen starke Nachbarschaften, die auf Vertrauen, Respekt und gegenseitiger Hilfe basieren.

Oder die modernen Béguinages – kleine Wohnanlagen, inspiriert von klösterlichen Gemeinschaften. Sie bieten Struktur, Sicherheit und Austausch – ganz ohne religiösen Überbau.

Ein besonders kreatives Beispiel? Die Maison des Babayagas in Montreuil. Eine selbstverwaltete Frauen-WG mit klarer Haltung: Aktiv alt werden, solidarisch leben, frei entscheiden.


Viele Vorteile – auf ganzer Linie

Was macht dieses Modell so attraktiv?

Ganz klar: Es ermöglicht älteren Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Die eigene Tür schließen zu können, aber bei Bedarf Gesellschaft zu haben – das ist Lebensqualität.

Dazu kommt, dass viele Kosten geteilt werden. Ob Pflegekräfte, Haushaltshilfen oder gemeinsame Anschaffungen – im Kollektiv ist vieles günstiger.

Und nicht zuletzt: Die emotionale Ebene. Wer lacht, lebt länger – und in Gesellschaft lacht es sich eben leichter.


Klartext: Wo klemmt’s?

So überzeugend das Modell klingt – es gibt Hürden.

Zum Beispiel im Bereich Recht und Bürokratie. Viele dieser Wohnformen passen nicht in die klassischen Kategorien von Seniorenheim oder Mietwohnung. Das sorgt für Unsicherheit – bei Betreibern wie bei Bewohnern.

Auch die Finanzierung ist eine Herausforderung. Nicht jede Kommune unterstützt solche Projekte, Fördermittel sind oft an strenge Auflagen gebunden. Ohne einen langen Atem geht hier nichts.

Und dann ist da noch der Faktor Mensch. Manche Angehörige tun sich schwer mit dem Gedanken, dass Oma oder Opa in eine „Senioren-WG“ ziehen wollen. Noch fehlt es an Vorbildern und Verständnis.


Zukunft hat, was verbindet

Trotzdem wächst das Interesse – und die Erfolgsgeschichten sprechen für sich. Senioren, die sich gegenseitig zum Arzt begleiten. Gemeinsames Kochen, Gärtnern, Spielen. Und das Gefühl, gebraucht zu werden – auch mit über 80.

Was braucht es, damit solche Projekte Schule machen? Vor allem Mut. Mut, neue Wege zu gehen. Und Unterstützung von Kommunen, Politik und Gesellschaft.

Denn klar ist: Wir alle werden älter. Und wenn das „Habitat partagé“ uns zeigt, wie man dabei nicht nur würdevoll, sondern auch glücklich lebt – warum nicht?

Von Daniel Ivers

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