Tag & Nacht




Ein leises Surren, die Räder drehen sich – und Strom fließt. Nicht aus einer Batterie, sondern direkt aus der Bewegung. Klingt nach Science-Fiction? Ist aber Realität im Loiret, einer Region nahe Orléans in Frankreich. Hier tüftelt Adrien Lelièvre seit 2016 an einer Idee, die das Konzept des E-Bikes auf den Kopf stellt. Sein Pi-POP ist das erste elektrische Fahrrad ganz ohne Akku. Und es hat das Potenzial, unsere Vorstellung von umweltfreundlicher Mobilität neu zu definieren.

Was treibt das Pi-POP an?

Keine Batterie, kein Ladekabel, keine Lithium-Probleme. Stattdessen arbeitet das Pi-POP mit Superkondensatoren – kleinen Energiewundern, die elektrische Energie nicht chemisch, sondern physikalisch speichern. Diese Technik kennen wir eigentlich aus der Industrie oder aus Hybridautos, wo sie für kurze, kräftige Energieschübe genutzt wird.

Im Alltag funktioniert das so: Auf flachen Strecken oder bei Abfahrten nutzt das Fahrrad seinen Elektromotor als Generator – ähnlich einer Dynamo. Dabei wird Bewegungsenergie in Strom umgewandelt und in den Superkondensatoren gespeichert. Und wenn es mal anstrengend wird? Dann hilft der gespeicherte Strom bei Steigungen, Gegenwind oder beim Anfahren – mit bis zu 250 Watt.

Ziemlich clever, oder?

„Wir verschwenden ständig Energie – Pi-POP nicht.“

Während herkömmliche Fahrräder beim Bremsen Wärme erzeugen und damit wertvolle Energie verlieren, denkt das Pi-POP einen Schritt weiter. Beim Verzögern schaltet es zuerst den sogenannten Motorbremse-Modus ein. Das bedeutet: Die kinetische Energie der drehenden Räder wird in Strom umgewandelt und wieder gespeichert.

Bis zu 400 Watt können beim Bremsen zurückgewonnen werden. Das ist nicht nur effizient – das ist fast schon poetisch in seiner Logik.

Leistungsstark und reaktionsschnell

Kritiker fragen sich: Reicht das? Kann so ein Fahrrad ohne Akku überhaupt mithalten? Lelièvres Antwort ist ein selbstbewusstes Ja. Die Leistung entspricht dem gesetzlich erlaubten Maximum für E-Bikes: 250 Watt. Und durch die schnellere Reaktionszeit der Superkondensatoren fühlt sich die Unterstützung sogar direkter an.

Ein kurzer Schub beim Anfahren an der Ampel, ein kräftiger Tritt in den Hang hinauf – genau dann, wenn man es braucht, ist die Energie da.

Aber was ist mit langen, steilen Strecken?

Fairerweise sagt der Entwickler: Das Pi-POP ist für den Alltag gedacht. Für Städte mit moderaten Höhenunterschieden – 50 bis 100 Meter Anstieg packt das Rad locker. Und damit erfüllt es bereits die Bedürfnisse von rund 70 Prozent der französischen Städte.

Klar, wer damit den Mont Ventoux erklimmen will, kommt nicht weit. Aber wer will das im Alltag schon? Genau – fast niemand.

Für die wenigen, die es doch in die Berge zieht, hat das Team bereits vorgesorgt. Neue, leichtere Modelle mit sportlicher Zehn-Gang-Schaltung sind in Arbeit. Erste Tests in Gebirgsregionen laufen vielversprechend. Die Rückmeldungen? Durchweg positiv.

Die Idee hinter der Idee

Warum das Ganze? Warum nicht einfach einen Akku einbauen wie alle anderen auch?

„Ein Fahrrad ist per Definition ein Symbol für nachhaltige Mobilität“, sagt Adrien Lelièvre. Und mit Batterien wird dieses Symbol seiner Meinung nach entstellt.

Denn Batterien – insbesondere Lithium-Ionen-Batterien – bringen jede Menge Umweltprobleme mit sich: Aufwendige Förderung, schlechte Recyclingquote, begrenzte Lebensdauer. Und das alles für ein Verkehrsmittel, das eigentlich ein Vorbild in Sachen Ökologie sein könnte?

Es sei wie ein Bio-Apfel, der in Plastik eingeschweißt wird.

Superkondensatoren hingegen punkten gleich mehrfach: Sie bestehen aus Aluminium, Papier und Kohlenstoff – allesamt Stoffe, die zu 95 Prozent recycelbar sind. Ihre Lebensdauer? Zehn bis fünfzehn Jahre. Und die Rohstoffe sind auf der Erde reichlich vorhanden. Anders als Lithium, das oft unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut wird.

Ein bisschen Zukunft – heute schon erfahrbar

Der Pi-POP ist kein futuristisches Konzept auf dem Reißbrett, sondern ein Produkt, das bereits auf Frankreichs Straßen rollt. Über 600 Stück wurden seit 2022 verkauft – Tendenz steigend. Die Produktion soll bald in ein größeres Gebäude verlagert werden. Ziel: 10.000 verkaufte Räder pro Jahr.

Klingt ambitioniert?

Ist es auch. Aber wer den Preis für das beste Produkt beim renommierten Concours Lépine gewinnt – eine Art Erfinder-Oscar – dem traut man Großes zu. Und ehrlich: Wer hätte gedacht, dass ein E-Bike ohne Batterie möglich ist?

Was bedeutet das für die Mobilität von morgen?

Stell dir vor, Städte voller Fahrräder, die sich selbst mit Energie versorgen. Kein Kabelsalat, keine Umweltprobleme durch Akkuentsorgung. Kein Streit mehr um die Frage, ob Elektromobilität wirklich nachhaltig ist. Einfach nur: treten, rollen, Strom gewinnen.

Warum hat das nicht schon längst jemand erfunden?

Vielleicht, weil der Gedanke an Verzicht schwerfällt – selbst wenn es kein echter Verzicht ist. Denn das Pi-POP bietet all das, was ein modernes E-Bike können muss. Nur eben ohne die Schattenseiten.

Ein kleiner Schritt für ein Fahrrad – ein großer für die Mobilität

Diese Erfindung zeigt: Nachhaltigkeit muss nicht Verzicht bedeuten. Sie kann auch bedeuten, Dinge anders zu denken – einfacher, klarer, klüger.

Und manchmal genügt eine einfache Bewegung – eine rollende Radumdrehung –, um eine neue Idee ins Rollen zu bringen.

Von Andreas M. Brucker

Quellen: Interview mit Adrien Lelièvre auf franceinfo, März 2025.

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